Schweizer Filme in Berlin
Das Filmland Schweiz führt, unberechtigter Weise, ein Schattendasein in europäischen Kinos. Mal werden die Filme nicht als schweizerisch wahrgenommen, weil sie in Koproduktion mit den jeweils „grossen“ Nachbarn entstanden sind, oder sie schaffen es, ausser zu Festivals, kaum auf ausländische Leinwände. Unwissen und Vorurteile – die sind alle auf Schweizerdeutsch – herrschen, und so entgeht dem europäischen Publikum ein interessanter und vielschichtiger Teil europäischen Kunstschaffens.
Abhilfe schafft da das bereits zum 3. Mal stattfindende Festival Film:Schweiz.
Kuratiert und organisiert wird es von der in Berlin lebenden Schweizerin Teresa Vena. Diese Ausgabe war für April 2020 geplant, musste aber aus bekannten Gründen abgesagt werden. Nun kann das Festival endlich stattfinden, vom 29.7. bis 4.8. kann man sich im Kino in der Brotfabrik ein Bild vom Schweizer Filmschaffen machen, das sollte man nicht verpassen.
Hier einige Filmtipps
Eröffnet und in Anwesenheit des Regisseurs wird mit „Der Büezer“.
Hans Kaufmann hat den Film mit kleinem Budget und ohne weitere Förderung realisiert. Die Geschichte eines lieben Kerls, der eigentlich nur gern ein bisschen mehr Geld und eine nette Freundin hätte. Aber auf dem Bau, wo er als Installateur arbeitet, herrscht ein rauer, sexistischer Umgangston, beim Versuch eines Dates per Tinder verschwindet die Dame, nachdem sie gehört hat, dass er nur ein einfacher Arbeiter ist. Eine junge Frau, die er zufällig trifft, entpuppt sich als Mitglied einer religiösen Gruppe, und der väterliche Freund als Zuhälter minderjähriger Migrantinnen. Nach der Verzweiflung folgt die Wut, und die bricht sich in bester Taxi Driver Manier ihren Weg. Spannend ist das vor allem wegen des Spiels von Joel Basman, der von zart, schüchtern und zurückhaltend zum „Tier“ mutiert, um dann in eine Art leuchtende Ruhe zurückzufinden.
KurzfilmTipp
Der Kurzfilm „All Inclusive“ von Corina Schwingruber Ilić, erzählt kurz, bündig und in tollen Bildern vom Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff, dokumentarisch und satirisch. Wer danach noch eine Kreuzfahrt machen will, ist selber Schuld.
DokumentarfilmTipp
„Das Leben vor dem Tod“ von Gregor Frei macht es dem Zuschauer am Anfang etwas schwer, gewinnt aber im Verlauf enorm. Der Dokumentarfilm begleitet über 4 Jahre den Vater des Regisseurs und dessen Nachbarn in einem kleinen Tessiner Dorf. Am Anfang steht die Idee des Vaters, der sich nicht damit abfinden kann und will, dass sein Nachbar seinen Freitod vorbereitet, und deshalb einen Film darüber machen will. Zur Unterstützung des Projekts bittet er seinen Sohn um Hilfe. Geplant ist, eine Gesprächssituation zu filmen und mit den Gesprächen das Thema auszuloten. Und diesen Anfang, an dem der Film noch keinen eindeutigen geistigen und künstlerischen „Vater“ hat, in dem es geschwätzig aber nicht interessant zugeht, gilt es zu überstehen. Danach läuft der fast experimentelle Film über die ganz grossen Fragen des Lebens wunderbar, und lässt die Zuschauer nachdenken, lachen und mitfühlen, ohne ins Trostlose zu kippen.
RadikalesKino
Innovativ, radikal und avantgardistisch ist der Film „Das Höllentor von Zürich“
von Cyrill Oberholzer. Der Film spielt mit Kameraeffekten, Fehlfarben und Computerbildern, die Bildausschnitte, Perspektiven und Schnittfolgen sind von Danny Boyds „127 hours“ 1:1übernommen, und auch die Situation des Feststeckens, allein und in aussichtsloser Lage entspricht dem Original. Bloss, dass alles von Anfang an in rauschhaftem Wahnsinn daherkommt. Anders als im Vorbild, steckt nicht ein Mann in einer Felsspalte fest, sondern eine junge Frau, und zwar mit einem Finger im Abfluss ihrer Badewanne. Daraus wird eine Art Trip, der in seiner Bildstruktur und Bildgestaltung eine grandiose Übersetzung der psychedelischen Filme der 60er und 70er Jahre ist, aber eben mit den visuellen Spielereien, die heute machbar und (aus)denkbar sind. Eine echte Entdeckung, ein gelungener, anstrengender Film, auf den man sich einlassen muss.
Dürrenmatt im Film
Zusätzlich zum aktuellen Filmgeschehen gibt es einen Fokus auf Friedrich Dürrenmatt, in diesem Kontext gibt es zwei Filme und eine Lesung.
Gezeigt werden: Der Richter und sein Henker (1975) und auch
Es geschah am hellichten Tag (1958).
Der Film nach einem Drehbuch von Dürrenmatt – der im Nachhinein daraus den Roman „Das Versprechen“ verfasste – ist dank seiner Präsenz im Fernsehen möglicherweise eine der bekanntesten Schweizer Produktionen, aber auch dieser Film gehört ins Kino.
Die Auswahl zeigt, das Filmschaffen der Schweiz ist genauso wenig homogen wie, zum Beispiel, das der USA, und es verdient auf jeden Fall ein grösseres Publikum auch ausserhalb der Schweiz. Dieses Festival leistet die dafür notwendige Pionierarbeit.
Das gesamte Programm gibt es hier.