Wenn die Idee besser ist als der Film
Alle, so scheint es, finden The Zone of Interest von Jonathan Glazer grossartig.
Die Kritiken übertreffen einander in Superlativen, und die Academy of Motion Pictures wählte das Werk gerade zum besten nicht-englischsprachigem Film.
Alle? Nein, nicht alle!
Der Film ist eine Enttäuschung.
Die gute Idee
Die gute Idee, die vielleicht geplant war, zu zeigen, dass das Böse auch in Gestalt des Alltäglichen daher kommen kann, also eine Art Visualisierung von Hannah Arendts Aussage der „Banalität des Bösen“, ist so nicht machbar.
Der Nazi also als lieber Papa, der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höß, der völlig entspannt direkt neben dem Vernichtungslager mit seiner Familie ein beschaulich-spiessiges Leben führt. Unbehelligt, unbeeindruckt vom Grauen jenseits der Gartenmauer, für das Höß persönlich verantwortlich ist.
So weit, so interessant. Zumindest in der Theorie.
Das Problem kommt dann zweiteilig.
Banales
Einerseits ist Banales an sich eher langweilig. Da lebt diese merkwürdige Familie vor sich hin. Vater, Mutter, fünf Kinder, ein aufdringlicher Hund, ein Garten voller Blumen und Gemüse. Papa lässt sich von einer nicht näher definierten Frau – gelegentlich – sexuell beglücken, Mama lässt ihre schlechte Laune am, nicht näher definierten, Personal aus. Der grosse Bruder ärgert den kleinen Bruder, wenn er nicht gerade nachts herausgebrochenen Goldzähne anschaut. Dass beide Erwachsenen genau wissen, was sie tun, oder was hinter der Gartenmauer vor sich geht, ist völlig klar. Aber der Kontrast des Bösen zu ihrer ländlichen Familienidylle ist tatsächlich uninteressant. Oder nicht überraschend. Auf jeden Fall nicht ausreichend für eine Geschichte. Da hilft auch die viel gerühmte, suggestive, aber sehr abstrakte Tongestaltung nicht.
Dramaturgisches Geschwurbel
Dazu kommt der Aspekt der Dramaturgie, oder der Regieeinfälle, die verwirren, ohne einen Mehrwert zu bieten. Zweimal sieht man Bilder, als Negativ bearbeitet, die eine junge Frau beim Verteilen von Obst und Gemüse am Rand des Lagers zeigen. Beide Male ist diese visuell etwas befremdliche Aktion parallel geschnitten mit der schlafwandelnden Tochter, die vom Vater liebevoll eingesammelt wird. Die Frage, wer diese Person ist, ist dabei viel weniger drängend, als die Fragen: warum wird das an der Stelle gezeigt, warum mit diesem Stilelement, und was hat das mit der kleinen Tochter zu tun?
Am Ende des Films darf Höß episch lang ein leeres Treppenhaus heruntergehen, dass und warum er dabei plötzlich kotzt, völlig unverständlich. Hat er sich doch gerade erfreut gezeigt, dass er den Auftrag bekommen hat, eine grosse Anzahl ungarischer Juden schnellstens und effektiv zu ermorden. Warum diese Sequenz aber unterbrochen wird von Bildern der Gedenkstätte Auschwitz heute, nur um dann am Ende doch wieder zum kotzenden Nazi zu wechseln, bleibt ein ärgerliches Mysterium.
Unsympathisch
Was bleibt ist eine biedere, langweilige Familie, mit höchst unschönen Ansichten und der Macht, diese in Taten zu übersetzen. Wenn man sich auch nur ein wenig mit dem Nationalsozialismus (oder auch anderen totalitären Regimen) beschäftigt, ist es keine wahnsinnige Überraschung, dass die Mörder tier- und kinderlieb sind, ihre Partner lieben – und betrügen –, wie halt jeder andere Mensch auch.
Aber sympathisch, im Sinne von „Mein netter Nachbar, der Massenmörder“, sind die Höß‘ zu keinem Zeitpunkt im Film.
Und wenn man bis zum Ende des Abspanns bleibt, liest man mit Verwunderung, dass dies eine fiktionale Geschichte ist, die Namen frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit mit echten Personen rein zufällig ist !?
Nein, eigentlich nicht.
Eine wirkliche Filmempfehlung ist das nicht.