#FilmTipp Kontinental’25

(c) ch.dériaz

Leben, Schuld und viele Fragen

 

Radu Jude, einer der spannendsten europäischen Regisseure, zeigt in Kontinental’25 mit leichter Hand, wie viele Fragen man in einem Kinofilm stellen kann. Und wie viele man dem Publikum dann mit auf den Heimweg gibt.
Vordergründig erzählt der Film von einer Gerichtsvollzieherin im rumänischen Cluij.
Orsolya, die Gerichtsvollzieherin, setzt sich zwar dafür ein, dass ein Obdachloser etwas länger in seinem Kellerverschlag bleiben kann, letztlich muss sie ihn trotzdem rauswerfen (lassen). Der Mann scheint sich ruhig seinem Schicksal zu beugen, als aber nach 20 Minuten das Team aus Gerichtsvollzieherin und Gendarmen zurückkommt, hat sich der Mann umgebracht.
Die subjektive Schuld lastet auf der Frau. Immer wieder erzählt sie den Verlauf der Amtshandlung, ihrem Vorgesetzten, ihrem Mann, einer Freundin, ihrer Mutter. Die Schuldgefühle wollen nicht weichen.

Rohe, fast dokumentarische Bilder
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Kontinental’25 ist komplett mit einem iPhone gedreht, was die Möglichkeit bietet Szenen in originaler Szenerie zu drehen, ohne weiter aufzufallen. Es erfordert aber auch ruhige Kamerapostionen, um Artefakte zu vermeiden. Ganz ausschliessen lassen sie sich nicht: bei Dunkelheit und ohne zusätzliches Licht, gerät das iPhone deutlich an seine Grenzen.
Alle Dialogszenen sind in Halbtotalen gehalten, egal wie lang sie dauern. Dass das keinesfalls langweilig wird, liegt an der Subtilität der Dialoge. Nationalismen brechen plötzlich durch, Orsolya, die ethnische Ungarin, wird wahlweise beschimpft, oder mit scheinbar gutgemeintem, „positiven“ Rassismus konfrontiert. Immer aber spielt auch die Zerstörung des städtischen Umfelds aus kommerzieller Gier eine Rolle. Nicht nur soll das Haus, in dem der Obdachlose den Heizungskeller bewohnte, einem Boutique-Hotel weichen, auch ganze Stadtviertel werden gentrifiziert. Fragen der EU-Politik, Orbans zunehmend totalitärerer Regierungsstil, der Ukraine-Krieg, alles findet Platz in den Gesprächen, macht sie hochaktuell und spannend. Es sind die kleinen Modifikationen der scheinbar ähnlichen Settings, die den Film so kurzweilig und spannend machen.

Verantwortung

Damit macht der Film nachdenklich. Er stellt unangenehme Fragen nach Loyalitäten, nach Gemeinsamkeiten, nach dem Selbstverständnis, mit dem man viele politischen Entscheidungen achselzuckend mitträgt. Es sind die grossen Fragen nach Schuld und nach Verantwortung, die da im vermeintlich Kleinen behandelt werden. Und das mach Radu Jude grossartig.

Der Film läuft in Wien im Gartenabukino und sollte dringend angeschaut werden.

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