Licht im Kino
Unter dem Titel Fare Cinema bietet das Festival Gelegenheit zum Austausch von Ideen mit Filmschaffenden zu spezifischen Themen.
Thema des Morgens: Künstliches Licht auf die Realität.
Kameramann Renato Berta, Chefbeleuchter André Pinkus, Szenenbildnerin Su Erdt, und Kameramann Robin Angst diskutieren über die verschiedenen Varianten (und Schwierigkeiten), Licht so zu setzen, dass es dem Film dient.
Die kurze Stippvisite bei der Diskussion hat sich gelohnt, alleine für Bertas Aussage, dass er nach dem Drehbuchlesen die Regie fragt: „Was willst du damit machen?“.
Eine Frage, die vielleicht nicht oft genug so präzise gestellt wird, oder aber oft nicht genau genug beantwortet wird, zum Nachteil mancher Filme, wodurch der Schwerpunkt zu oft am Dialog klebt, statt am bildlichen Ausdruck.
Auch die Idee einer Trennung, von damals und heute, alte Technik gegen neue Technik, greift zu kurz. Denn immer, damals wie heute, musste und muss man wissen, was man machen, erreichen will. Das Ziel, die Vision, nicht die technischen Möglichkeiten, sollten den Ton angeben, oder besser: das Licht bestimmen.
Gewalt
Gewalt hat viele Gesichter. In La ligne von Ursula Meier meint man zu Beginn, es gehe um rohe, sehr direkte Gewalt. Eine junge Frau, kaum zu bändigen, drischt auf eine ältere Frau ein. Die Bilder in Zeitlupe, kaum Geräusche, oder wenn dann nur spärlich, aber dafür überdeutlich.
Doch bald versteht man, dass hier eine hochgradig verkorkste Familie diesen Gewaltausbruch hervorgebracht hat. Ein Ausbruch, der der Tochter ein dreimonatiges Annäherungsverbot einbringt, die sprichwörtliche und titelgebende Linie, die sie nicht überschreiten darf.
Die handelnden Figuren: eine passiv-aggressive Mutter – herausragend-widerwärtig gespielt von Valeria Bruni Tedeschi – eine Tochter, die mit direkter Aggression antwortet, eine Tochter, die sich in ihr eigenes Mutterglück stürzt, und die jüngste Tochter, gerade mal 12, die verzweifelt versucht, alle wieder zusammenzubringen, Frieden zu stiften. Regie und Schauspielerinnenführung, besonders der Mutter und der jüngsten Tochter (Elli Spagnolo), sind atemberaubend. Die schöne und sensible Kamera von Agnès Godard gibt dem Film den Rahmen, in dem das alles leicht überstilisiert und doch glaubhaft stattfinden kann. Die Vorstellung war ausverkauft und der Film kam gut an.
Menschenrechte
Juste Charity von Floriane Devigne erzählt von der Nigerianerin Charity, die sich gegen die Menschen wendet, die sie zwangsprostituiert haben. Es ist ein langwieriger Weg, von der Anzeige bis zur Gerichtsverhandlung und zur Verurteilung der Bande wegen Menschenhandel und Prostitution. Parallel dazu versucht die junge Frau, ihr neues Leben in Frankreich zu ordnen und ihre beiden kleinen Kinder aus Nigeria zu sich zu holen. All das gehört erzählt, aber das ergibt nicht zwingend einen guten Film. Man ist als Zuschauer zwar oft nah an den Personen, lernt sie trotzdem nicht wirklich kennen, man fühlt intellektuell mit, aber der Film selbst trägt dazu nicht wirklich bei. Filmisch ist es eher leichte Kost, zweckmässig, aber nicht umwerfend. Der Film ist auf jeden Fall in der Auswahl für den Publikumspreis, wer weiss, vielleicht überzeugt die Geschichte ja mehr als der Film an sich.
Käfer
Until Branches Bend von Sophie Jarvis ist ein eigentümlicher, langsamer Film, von dem man zeitweise nicht weiss, ob er ein Science-Fiction-Film werden möchte, oder ein Öko-Thriller.
Am Ende ist er wohl eher ein Öko-Drama.
Der kleine, eklige Käfer, den eine junge Packerin in einem Pfirsich findet, könnte der ein grosses Problem werden? Oder ist er nur irgendein Viech? Und warum sperrt sich der Chef so gegen eine Untersuchung? Mit kurzen Schockmomenten, von denen nicht ganz klar ist, ob sie Träume sind, einer suggestiven Musik, die Schlimmes ahnen lässt, arbeitet der Film sich zum tierischen Höhepunkt vor. Unterwegs zeigt er das Soziogramm einer kleinen, ländlichen Gemeinde in Kanada, die komplett von den Monokulturplantagen abhängt.
Rebellinnen
Mit ihrer eigenen Geschichte – Vater aus Kairo, Mutter aus Bern -– als Startpunkt erzählt Nadia Fares in Big Little Women vom Aufbegehren ägyptischer Frauen.
Sie trifft dafür drei junge Frauen, die sich bemühen, dem patriarchalen Bild, das ihre Umgebung und ihre Familien ihnen vermitteln, zu entkommen, sowie eine sehr alte Ärztin, Philosophin, Autorin und Langzeitrebellin. Aber immer wieder kehrt sie zu den patriarchalen Strukturen des ländlichen Bern der 60er Jahre zurück, wo ihr Grossvater letztlich dafür sorgte, dass ihr ägyptischer Vater ausgewiesen wurde, einfach, weil er die Macht dazu hatte, über das Leben seiner Tochter zu bestimmen. Und so treffen sich Frauenunrecht hier und dort, und sind am Ende gar nicht so wahnsinnig unterschiedlich. Trotzdem behält der Film, auch weil er sehr starke Protagonistinnen hat, immer eine leichte, manchmal sogar lustige Note, ohne den Ernst aus den Augen zu verlieren. Rebellinnen auf der Leinwand scheinen beliebt, das war bisher der Film mit dem meisten Beifall.
Das Festival-Wochenende naht, und morgen gibt es dann unter anderem Mad Heidi.