Sowohl als auch
Der letzte komplette Kinotag in Solothurn. Und ein weiterer Frühfilm.
Die Erwartunge an Al-Shafaq (Wenn der Himmel sich spaltet) von Esen Isik sind gross. Die Geschichte klingt spannend aber insgesamt verwirrt sie mehr als sie unterhält, was wirklich schade ist. Eine türkische Familie in Zürich, Burak, der jüngste Sohn kann es keinem recht machen, er scheint nicht genug im Glauben zu Hause zu sein, er trinkt, versucht verschämt mit einer Mitschülerin anzubandeln, bekommt Ärger zu Hause. Da scheint ein neuer, aus Deutschland kommender Imam gerade richtig, um ihn auf den rechten Weg zurückzubringen. Was dann passiert ist eine Radikalisierung, die keiner in der Familie wahrhaben will. Parallel geht es um zwei jesidische Brüder aus Syrien, deren Familie vom IS ermordet und verschleppt wurde und die in einem türkischen Flüchtlingslager feststecken, wo der ältere Bruder bei einer Explosion stirbt. Von Zürich aus macht sich Burak auf den Weg nach Syrien, wo er als IS Kämpfer stirbt. Rückblenden in verschieden zeitlichen Ebenen verweben die Geschichten und schliesslich treffen der trauernde Vater und der trauernde, verwaiste Junge in der Türkei aufeinander. Das alleine ist schon relativ komplex, das Problem liegt auf zwei weiteren Ebenen: Warum spricht der Vater neben türkisch hochdeutsch, während der Rest der Familie immer wieder ins Schweizerdeutsche fällt? Was spricht er mit dem kleinen Jungen? Türkisch? Kurdisch? Wenn Kurdisch, wieso spricht er das nicht auch zu Hause? Warum spielen die Darsteller alle, als stünden sie das erste Mal vor der Kamera?
Man kann an all diesen filmischen Ungereimtheiten natürlich freundlich vorbeisehen, nur das Drama sehen, das sich vor einem abspielt. Aber eben wegen der Komplexität der beiden Erzählstränge macht die mangelnde Logik oder Sorgfalt das ganze ärgerlich.
Ein Dokumentarfilm über den Reise- und Dokumentarfilmer René Gardi, einzig aus dem veröffentlichten und unveröffentlichten Material Gardis entstanden: African Mirror von Mischa Hedinger. Gardi, der mit seinen Filmen aus Kamerun nachhaltig das mediale Bild Afrikas geprägt hat, entlarvt sich mit eigenen Mitteln. Die Filmbilder, Tagebuchauszüge und TV Auftritte zeigen, wie sehr hier die eigene romantisierte und vor allem kolonial geprägte Sicht mit allen Mitteln verbreitet wird. Aus damaliger Sicht (ab den 1950er Jahren) mag das Inszenieren von „Alltagssituationen“, das Verniedlichen, aber auch Herabwürdigen der Kameruner, übliche Praxis gewesen sein, aus heutiger Sicht sind die Kommentare, die Inszenierungen und Einschätzungen nur schwer zu ertragen. Hedinger hat das Material strukturiert und dramaturgisch positioniert, bleibt zu hoffen, dass er, anders als Gardi so sorgfältig und ehrlich vorging, dass das Bild das auf der Leinwand entsteht nicht in ähnlicher Weise einzig den heutigen ethischen Maßstäben genügt, sondern auch denen der Zukunft. Das vorausgesetzt, ein sehr bewegender Film.
Golden Age von Beat Oswald zeigt Alter als lukratives Geschäftsmodell. Eine luxuriöse Seniorenresidenz und ihre skurrilen Bewohner im Süden Floridas gleichzeitig präzise beobachtet und peppig geschnitten. Ein Einblick in ein – sehr amerikanisches – Modell vom Leben im Alter, bei dem man sich die ganze Zeit fragt, ob man lachen soll oder sich fürchten möchte. Andererseits ist die Residenz so teuer, dass sich die Frage für die meisten Zuschauer wohl eher nicht stellt und man kann dann doch hauptsächlich staunen und lachend den Kopf schütteln über all den Prunk, die Happy Hour, den Ringelpietz mit Anfassen. Ein fröhlicher Film, der sein Thema trotzdem ernst nimmt.
Katalogtexte können einen wirklich in die Irre leiten, während Le pays von Lucien Monot spannend klang, erschien der im gleichen Programm laufende Sensing Bodies von Christoph Oertli eher öde. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Le pays erzählt von zwei jungen Männern, die auf einem Fährschiff auf dem Genfer See arbeiten. Die Familie des einen ist ursprünglich aus Palästina, die des anderen aus Lateinamerika. Off Dialoge umreissen diese Biographien, während relativ beliebige Bilder des Arbeitsalltags dazu laufen; mühsame 45 Minuten lang.
Sensing Bodies zeigt in 48 kurzweiligen Minuten Menschen, die vor sehr aufgeräumter, gestalteter urbanen Kulisse vorbeihuschen, ihres Weges gehen, sich ausruhen, rauchen, immer wieder rauchen in dafür vorgesehenen und von der Umgebung abgeteilten Stellen. Einen ganzen Tageszyklus lang folgt man den Bewegungen, unterlegt hauptsächlich von sehr betonten Originaltönen, die Schritte klacken laut, musikalisch, Blätter rauschen, Stadtgeräusch, eine ganze Symphonie an Umgebungston. Nach ganz kurzer Zeit zieht einen dieser Film hinein ins Schauen und Staunen.
Der Dokumentarfilm des Journalisten und Regisseurs David Vogel, Shalom Allah behandelt ein Thema, dem selten und wenn, dann selten sachlich, Beachtung geschenkt wird: Islam Konvertiten. Vogel begleitet, befragt, 4 Schweizer, die zum Islam konvertiert sind. Befragt sie nach ihren Motiven, ihren Erfahrungen und muss sich dabei mit seinem eigenen, nicht praktizierten, ja abegelegtem Judentum auseinandersetzen. Der Film ist sowohl kritisch, als auch selbstkritisch, hinterfragt immer wieder in Ich-Form vermeintlich Feststehendes, setzt sich mit den eigenen Zweifeln in Bezug auf das Thema auseinander und lässt dabei seinen Protagonisten allen Platz und wird mit Offenheit belohnt. Die Welt ist eben nicht einfach und auch nicht schwarz-weiss, es ist sowohl als auch und bietet Raum für stetigen Wandel.
Morgen Abend gibt es in Solothurn den Prix de Soleure und den Publikumspreis, soweit war es auf jeden Fall ein erfreuliches, vielschichtiges Festival.