#FilmTipp_Bugonia

(c) ch.dériaz

Ausserirdisch?

 

Wie Bugonia von Yorgos Lanthimos empfehlen, ohne zu viel zu verraten?
Vielleicht zuerst einige Fragen, die sich mögliche Zuschauer stellen sollten:
Möchte ich mich einlassen, auf eine sehr komplexe Geschichte, überbordend vor verrückter Ideen?
Ertrage ich, dass vieles, vielleicht sogar alles, erzählt sein wird, ohne dass alles offensichtlich erklärt wird?
Halte ich plötzliche, splatterartige Momente aus?
Mit diesen Grundfragen ausgestattet hier die Empfehlung Bugonia anzuschauen.

Aluhut

Zwei Cousins, einer eher etwas verschüchtert, unsicher, der andere wild entschlossen, die Welt zu retten, fassen den Plan eine Ausserirdische zu entführen.
Alleine ihre irrwitzigen Vorbereitungen, begleitet von den absurdesten Verschwörungsgeschichten, sind ebenso atemberaubend wie witzig, bedenklich, erschütternd und anrührend.

Die Chefin
(c) ch.dériaz

Das krasse Gegenteil zu den zwei Sonderlingen ist die Chefin eines Pharmaunternehmens: diszipliniert, lächelnd, despotisch, reich, selbstsicher und selbstverliebt.
Und genau sie haben die beiden auserkoren, sie soll die Ausserirdische aus der Andromeda Galaxis sein.
Der Plan steht fest, das Zeitfenster ist klein, die nahende Mondfinsternis spielt eine nicht unerhebliche Rolle.

Entführt

Mit der geglückten Entführung wird der Raum im Film eng.
So gut wie alles spielt sich nur noch im Haus der Cousins ab.
Konfrontationen, Anschuldigungen, kurze Rückblenden in Schwarzweiss, die Kamera findet immer Bilder, die nicht konventionell sind, ohne dabei zu sehr herauszufordern. Mal ist die Kameraperspektive etwas untersichtig, mal leicht versetzt zu den üblichen Sehgewohnheiten, eine konstante Irritation entsteht sowohl durch die Bildsprache, als auch durch die Abfolge des Geschehens.
Haben sie wirklich ein Alien entführt, oder nur die Chefin eines grossen Unternehmens, das fragwürdige Praktiken und Standards hat?

Gefangen


Der Zuschauer, so er sich auf die Geschichte einlässt, wird gefangen im immer kruder und unsicher werdenden Netz der Ereignisse, schwankt von Überzeugung zu Überzeugung:
Alien? Nicht-Alien? Spinner? Weltretter? Weltrettende Aliens? Und was ist mit den Dinosauriern?
Alles scheint möglich. Oder vielleicht ist auch alles möglich, einfach weil der Film die Möglichkeiten plausibel erzählt. Aber auch weil es eine grosse Freude ist, Emma Stone dabei zuzuschauen, wie sie von einer Variante in die andere und wieder zurückwechselt, mühelos und fabelhaft.
Ein Film, der Freude bereitet, sofern man die Fragen vom Anfang für sich mit  »Ja« beantworten kann.

Der Film läuft in Wien im Original im Filmcasino.

 

#FilmTipp Kinds of Kindness

 

(c) ch.dériaz

 

Liebe und Grausamkeiten

Drei Episoden, drei Geschichten, in denen fabelhafte Darsteller zeigen, wie das Böse und Grausame auch komplett ohne Geschrei und offensichtliche Brutalität, nämlich im Schafspelz der Liebe, Leben zerstört.
Kinds of Kindness von Yorgos Lanthimos zeigt, dass Liebe nicht immer Liebe ist.

Die Episoden, sind nicht nur toll gespielt, allen voran von Emma Stone und Willem Dafoe, sondern sie nutzen auch wunderbare Bilder, um Freundlichkeit zu suggerieren, wo doch in Wahrheit das Böse herrscht. Manche Bilder erinnern an Hopper Gemälde, das Trostlose von Motelzimmern, die grafische Genauigkeit eines Parkplatzes: Hopper in Bewegung. Schön sind auch die Wechsel von extrem nahen Einstellungen zu Totalen, die eine eigenwillige Abstraktion erzeugen. Die Filmmusik schafft es, die Szenen und Stimmungen zu unterstreichen, hervorzuheben, ohne aufdringlich zu sein.

Was etwas enttäuscht ist, dass die Episoden zwar das Grundthema gemeinsam haben, und die Darsteller in allen Episoden spielen, aber es untereinander keine Verbindung, es keine wie auch immer geartete Auflösung gibt. Dadurch wird der Film mit 165 Minuten doch recht lang, selbst wenn man die drei Episoden als drei längere Kurzfilme sehen kann.

Trotzdem

Warum es sich dennoch lohnt, den Film zu sehen?
Wegen der irren Einfälle und Spielarten von Gemeinheit und Grausamkeit.
Wegen der, bei Lanthimos gewohnten, Fülle an schrägen Einfällen und wahnsinnigen Figuren. Wegen der Subtilität der Ekelhaftigkeiten, sei es auch nur, um zu lernen diese oder ihre Verwandten im wahren Leben zu entlarven.
Insgesamt unterhaltsam, wenn man keine Probleme mit Blut auf der Leinwand hat und kein Happy End braucht.

Der Film läuft in Wien in Originalfassung im Filmcasino und im Filmhaus.

 

#FilmTipp Poor Things

(c) ch.dériaz

 

 

Märchenhaft

 

 

Es ist ja immer etwas riskant, einen Film, den alle schon in den Himmel und zurück gelobt haben, endlich anschauen zu gehen. Aber die Neugierde siegt.
Zum Glück.
Poor Things von Yorgos Lanthimos nicht gesehen zu haben, wäre ein echter Verlust.

 

(c) ch.dériaz

 

Mehr als zwei Stunden taucht man in eine märchenhafte Welt voller seltsamer Mischwesen ein. Aber vor allem folgt man der anfangs kindlich trotzigen Bella in ihrer Entwicklung zur selbstbewussten, selbstbestimmten Frau. Natürlich drängen sich Anlehnungen an Dr. Frankenstein auf, aber dann auch wieder nicht. Denn nicht die eigene Hybris treibt Dr. Godwin, genannt God, Baxter an, sondern der naive, fast kindliche Glaube, etwas zu verbessern. Er, der selbst ein Opfer ist, bleibt gefangen in der Idee, dass, was man ihm angetan hat, aus Liebe geschah. Und so experimentiert er, aber er gibt eben auch bedingungslose Liebe weiter.
Und Bella, sein Geschöpf, darf ihre Neugierde ausleben, wissenschaftlich, klinisch exakt und, am wichtigsten, frei von einengenden Konventionen.

 

Perspektiven

 

Anfangs schwelgt die Geschichte in Schwarzweissbildern, mit einer Art Fischaugenoptik, bei der man den Eindruck hat, unter einem altmodischen Vergrösserungsglas zu stecken und beobachtet zu werden. Bellas Schritte in eine Emanzipation sieht man in extrem bunten Farben, eine phantastische Welt, in der je nach Grad ihrer Freiheit auch das Beobachtunsglas immer mehr wegfällt.
Sie gewinnt an Erfahrung, an Wissen, an Ausdrucksmöglichkeit.

 

Erfahrungen

 

Dass ihre direkte Art in einer viktorianischen Welt schwer missverstanden wird, ist klar. Dass sie das überhaupt nicht in ihrer Suche behindert, ist eine grosse Freude. Und das Ergebnis ist, anders als in vielen Genre-Filmen, nicht ein Wesen, das von Machtgier und Bosheit getrieben wird, sondern das ganz selbstverständlich Empathie entdeckt und diese lebt.

Im Kinosaal kam es immer wieder zu spontanem lauten Gelächter, weil auch der Humor definitiv nicht zu kurz kommt, aber auch kurze Momente des Schreckens waren deutlich an der Reaktion im Saal hörbar.
Ein sehr gelungener, lustiger, spannender, intelligenter Film, mit tollen Darstellern.