57. Solothurner Filmtage eröffnet

Eröffnung
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Filmfestival leibhaftig

 

Dürfen wir hier sein? Fragt Bundesrat Alain Berset am Anfang seiner Eröffnungsrede, und meint das nicht etwa philosophisch, sondern pandemisch.
Dürfen wir also bei vollen Sälen, mit 2G und Masken, ins Kino gehen, eine Woche lang? Berset, zuständig für Gesundheit UND Kultur, beantwortet das mit: Ja.
Und macht sich gleichzeitig ein bisschen über sich und die den Schweizer „Mittelweg“ lustig.
Ob wir das also gedurft haben werden, oder ob es gescheit gewesen sein wird, das wird sich in einer Woche zeigen, bis dahin heisst es erstmal:
Ab in die Kinos, den Schweizer Film sehen, entdecken, geniessen.

 

Die Halle füllt sich
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Der Saal voll, die Freude über die Wiederkehr des Präsenzfestivals ausgiebig beklatscht, eröffnen die 57. Solothuner Filmtage mit:
Loving Highsmith von Eva Vitija.
Als Rückgrat des Films dienen Zitate aus Highsimth‘ Notiz- und Tagebüchern, Zitate, von einer unerwarteten lyrischen Leichtigkeit. Die Autorin, die vielen als zynisch und düster gilt, wird hier von einer federleichten und verwundbaren Seite gezeigt, ohne dabei den harten, den nicht immer sympathischen Teil zu verschleiern. Dadurch entsteht eine Filmbiografie von grosser Dichte, die Bekanntes und Unerwartetes verbindet. An manchen Stellen ist der Film etwas langatmig, zeigt Skurriles, das aber nicht wirklich den Lauf der Geschichte weiterbringt, er kommt so auf 83 Minuten, was einer Kinoauswertung entspricht, wirklich brauchen würde der Film die grosse Leinwand nicht, eine etwas kompliziertere Länge täte hier gut. Interessant ist diese etwas andere Biographie, die Privataufnahmen, Photos, Spielfilmausschnitte und Interviews kombiniert, dennoch.
Zum anschliessenden Stehempfang, mit Wein, Bier und Häppchen, darf man nur mit 2G+ Nachweis, voll ist es trotzdem.

Bändchen und Maske
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Für die Dauer des Festivals, und für die einfachere Handhabbarkeit, gibt es schwarze Bänder ums Handgelenk, die belegen, dass Impfstatus und Ausweis kontrolliert und für wahr befunden wurden.

 

 

 

 

Tief hängende Wolken

 

 

 

 

 

Fast wie eine Fortsetzung der Highsmith Biografie mutet Der Mensch meines Lebens bin ich von Christian Walther an.
Die Schweizer Schriftstellerin und Feministin Verena Stefan, die in den 70er Jahren aktiv in der Frauenbewegung war und mit „Häutungen“ ein wichtiges Buch feministischer Literatur schrieb, wird von Weggefährtinnen, Freundinnen und der neuen, jungen Generation der Frauenbewegung beleuchtet und erzählt. Eine faszinierende Persönlichkeit erscheint, eine Persönlichkeit, die mit 70 Jahren definitiv zu früh die Welt verlassen hat.
Ärgerlich ist, dass im Kino ein technisches Problem dem Film immer wieder Bilder raubt, zunächst stecken die Untertitel fest, dann mehren sich kurze schwarze Stellen, es scheint, als würde die oberste Bildspur fehlen. Leider setzt sich das auch im zweiten Film des Doppelprogramms fort. Und so fehlt auch beim Portrait des Schweizer Filmemachers, Markus Imhoof – Rebellischer Poet von Stefan Jäger, immer wieder Bildinformation.
Imhoofs Filmschaffen, von den frühen 70er Jahren bis heute folgt einer klaren, rebellischen Linie. Und so wundert es auch nicht, dass seine Filme nicht nur immer wieder Kontroversen auslösen, sondern teilweise auch Aufführungsverbot hatten. So wurde zum Beispiel „Das Boot ist voll“ trotz Oscar Nominierung und zahlreicher Filmpreise, immer wieder im Giftschrank weggesperrt. Imhoof bleibt ein unermüdlicher Filmautor, der auch mit über 70 nicht daran denkt, sich von seiner Film- und Erdzählbesessenheit zu verabschieden.

 

Schlampereien

 

Zwischen der 10 Uhr und der 13 Uhr Vorstellung wurde das technische Problem im Kino behandelt, aber noch nicht gelöst.
Wodurch, zumindest am Anfang, Theo Stichs Dokumentarfilm Mitholz wieder Bildausfälle und Artefakte lieferte. Trotzdem, die Geschichte ist sehr sehenswert.
Etwa 160 Einwohner leben im Dorf Mitholz im Berner Oberland, aber eine einzigartige behördliche und militärische Schlamperei bedroht das Dorf. Während des Zweiten Weltkriegs wurde in unmittelbarer Nähe des Dorfs ein Stollen in den Berg getrieben, um Munition zu lagern. Nach Kriegsende wurde dort noch mehr Munition und Sprengstoff gelagert, die Bevölkerung wurde über das gefährliche Material im Berg nicht informiert. 1947 kommt es zu einer fatalen Explosion, das Dorf wird zerstört, Menschen sterben. Die Politik klopft sich auf die Schulter, während sie den Betroffenen neue Häuser hinstellt. Die Information über die weiterhin dort lagernden Stoffe verschwindet auf Jahrzehnte in den Archiven. Stollen in den Schweizer Alpen sind militärische Staatsgeheimnisse. Erst 2010, als man den Stollen für ein IT-Zentrum ausbauen will, wird wieder hingeschaut, und doch dauert es weitere 7 Jahre bis man einsieht, die Sprengkraft im Berg ist lebensgefährlich. Die Dorfbewohner stehen ratlos vor der Katastrophe, sie werden auf Jahrzehnte umgesiedelt werden müssen, die Informationen fliessen weiterhin eher spärlich.

Wenn Bilder verführen

 

 

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Nach drei Dokumentarfilmen der erste Spielfilm des Tages: Stille Post von Florian Hoffmann. Das Gerüst des Films bilden Handyaufnahmen, die in Cizre 2015 entstanden, gedreht von kurdischen Aktivisten, um auf die Lage der Kurden aufmerksam zu machen. Dazu baut Hoffmann eine kluge und einsichtige Geschichte von der Macht der Wünsche, der Verführbarkeit und von Hilflosigkeit. Ein junger Lehrer in Deutschland, der als Kind seine Eltern und möglicherweise auch seine Schwester im Konflikt von Kruden und türkischem Staat verloren hat, meint in einem Handyvideo hinter der Kamera seine Schwester zu erkennen. Und während dieser Wunsch, aus der eigenen kindlichen verletzten Seele heraus nach der Schwester sucht, instrumentalisieren in Deutschland politisch aktive Kurden diese Sehnsucht für ihre Zwecke. Mit den Mitteln des Spielfilms zeigt die Geschichte, die Bedeutung und auch Ambivalenz von Bildern, die Macht der Illusion, oder Desillusion, und die Macht der Medien, einen Konflikt nicht nur an die Öffentlichkeit zu bringen, sondern auch, diesem Konflikt – gewollt oder ungewollt – eine weitere Dimension zu erlauben. Man ist auch als Zuschauer gefordert bei diesem Spagat zwischen Wunsch, Wahrheit und Propaganda immer wieder aufmerksam zu bleiben und zu hinterfragen.

Noch weiter in der Analyse von Kriegsbildern und deren Wirkung gehen Massimo D’Anolfi und Martina Parenti mit Guerra e pace. Kriege wurden vermutlich schon immer in Bildern dargestellt, mit dem Aufkommen der Photographie und des Films ist eine Seite dazugekommen, die verleitet, das Abgebildete immer und ohne Reflexion für Realität zu halten. Der Film zeigt, wie wichtig eine kritische Betrachtung ist und bleibt. Es ist dabei egal, ob man Filmbilder von 1911 aus dem Italiensch-Libyschen Krieg sieht, oder aktuelle Bilder diverser Schauplätze kriegerischer Auseinandersetzungen. All diese Bilder sind Zeugnisse, aber eben nur ein Teil der Geschichte, ein Teil der Wahrheit. Das spannendste Kapitel des Films ist die Parallelmontage der Ausbildung von Fremdenlegionären und Soldaten, die für die filmischen und photographischen Berichte künftiger Einsätze geschult werden. Physischer Drill auf der einen Seite, Filmtechnik, Beleuchtung und ethische Fragen auf der anderen. Je besser man weiss, dass Bilder immer einem Zweck dienen, um so eher kann man sie einordnen, kann sie als notwendiges Mittel der Erinnerung in Kontext stellen, statt sich verführen zu lassen.

Solothurn am Abend war noch nie besonders voll und laut, aber in diesem Jahr wirkt die Stadt bereits kurz nach zehn am Abend verlassen.

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