Märchenhaft
Es ist ja immer etwas riskant, einen Film, den alle schon in den Himmel und zurück gelobt haben, endlich anschauen zu gehen. Aber die Neugierde siegt.
Zum Glück.
Poor Things von Yorgos Lanthimos nicht gesehen zu haben, wäre ein echter Verlust.
Mehr als zwei Stunden taucht man in eine märchenhafte Welt voller seltsamer Mischwesen ein. Aber vor allem folgt man der anfangs kindlich trotzigen Bella in ihrer Entwicklung zur selbstbewussten, selbstbestimmten Frau. Natürlich drängen sich Anlehnungen an Dr. Frankenstein auf, aber dann auch wieder nicht. Denn nicht die eigene Hybris treibt Dr. Godwin, genannt God, Baxter an, sondern der naive, fast kindliche Glaube, etwas zu verbessern. Er, der selbst ein Opfer ist, bleibt gefangen in der Idee, dass, was man ihm angetan hat, aus Liebe geschah. Und so experimentiert er, aber er gibt eben auch bedingungslose Liebe weiter.
Und Bella, sein Geschöpf, darf ihre Neugierde ausleben, wissenschaftlich, klinisch exakt und, am wichtigsten, frei von einengenden Konventionen.
Perspektiven
Anfangs schwelgt die Geschichte in Schwarzweissbildern, mit einer Art Fischaugenoptik, bei der man den Eindruck hat, unter einem altmodischen Vergrösserungsglas zu stecken und beobachtet zu werden. Bellas Schritte in eine Emanzipation sieht man in extrem bunten Farben, eine phantastische Welt, in der je nach Grad ihrer Freiheit auch das Beobachtunsglas immer mehr wegfällt.
Sie gewinnt an Erfahrung, an Wissen, an Ausdrucksmöglichkeit.
Erfahrungen
Dass ihre direkte Art in einer viktorianischen Welt schwer missverstanden wird, ist klar. Dass sie das überhaupt nicht in ihrer Suche behindert, ist eine grosse Freude. Und das Ergebnis ist, anders als in vielen Genre-Filmen, nicht ein Wesen, das von Machtgier und Bosheit getrieben wird, sondern das ganz selbstverständlich Empathie entdeckt und diese lebt.
Im Kinosaal kam es immer wieder zu spontanem lauten Gelächter, weil auch der Humor definitiv nicht zu kurz kommt, aber auch kurze Momente des Schreckens waren deutlich an der Reaktion im Saal hörbar.
Ein sehr gelungener, lustiger, spannender, intelligenter Film, mit tollen Darstellern.