#FilmFestival Solothurn 55_7

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Die Preise

Die 55. Ausgabe der Solothurner Filmtage, die erste Ausgabe unter der neuen Leitung von Anita Hugi endet mit folgenden Preisträgerfilmen:

Der Prix de Soleure geht an Boutheyna Bouslama für den Dokumentarfilm
A la recherche de l’homme à la caméra, leider nicht gesehen.
Der Prix du Public geht an Baghdad in my Shadow von Samir.

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Thematisch dominierten Familiengeschichten und, ganz stark, Filme, die Identitätsfragen zum Thema hatten. Seine Identität hat der schweizer Film längst gefunden, sie ist vielfältig, vielsprachig, neugierig. Die Regisseure und Regisseurinnen blicken in der Wahl ihrer Themen auf ihre Wurzeln, erschliessen sich neue Perspektiven und tragen so zu einer bunten Mischung bei. Der wahre Gewinner dieser Mischung ist auf jeden Fall das Publikum. Bleibt also dem Publikum ausserhalb der Landesgrenzen viele schweizer Filme zu wünschen.

Das, letztes Jahr, unterzeichnete Abkommen zur Gleichstellung und Diversität in der Filmbranche wurde insofern erfüllt, dass mehr Filme von Regisseurinnen gezeigt wurden, auch wenn die Zahl immer noch etwas niedriger ist, als Filme von Regisseuren, einzig bei den Kurzfilmen wurde eine 50:50 Verteilung erreicht. Bei den Gewinnerfilmen ist dieses Jahr die Verteilung ausgeglichen.

 

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Das genaue Datum für die Solthunrer Filmtage 2021 steht noch nicht fest, aber wer gegen Ende Januar noch nichts vorhat, könnte ja über eine Reise in die Schweiz nachdenken.

#FilmFestival Solothurn 55_5

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Dazugehören

Wer Filme macht, braucht einen langen Atem, fünf Jahre von der Idee zum fertigen Film hat Jonas Schaffter gebraucht. Sein Dokumentarfilm Arada (Dazwischen) ist eine eindrückliche, gesellschaftspolitische Geschichte. Drei Männer, zwei von ihnen in der Schweiz geboren, aber mit türkischen Pässen, wurden nach kleineren Straftaten und nach verbüssen ihrer Haftstrafen aus der Schweiz ausgewiesen. Wenn man sie anhört, sind sie einwandfrei Schweizer, vom Dialekt bis zu ihren Ideen, aber eben mit türkischen Pässen. Und so leben sie in einem Schwebezustand, in einem Land, das sie eher aus den Ferien kennen, denn vom Leben dort, ein Land in das selbst ihre, zuvor in die Schweiz ausgewanderten, Eltern nicht mehr zurückkehren. Videotelephonate und Callcenter Jobs bei Schweizer Firmen halten die Verbindung. Aber es bleibt ein Warten, für zwei auf unbestimmte Zeit, für einen mit einer besseren Prognose zurückzudürfen, da sein Einreiseverbot auf nur 5 Jahre angesetzt wurde. Fünf Jahre allerdings, in denen er seinen kleinen Sohn fast nie sieht und in denen seine Ehe scheitert. Was macht Heimat aus, was macht Zugehörigkeit aus? Fragen, die man sich in einer Welt, die Globalisierung predigt und Trennung praktiziert immer wieder wird fragen müssen. Der Film macht das auf interessante und bedrückende Weise klar. Dass Arada ein Hochschul-Abschlussfilm ist, sieht man ihm an keiner Stelle an.

Arada
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Mon Cousin Anglais von Karim Syad behandelt eine ähnliche Thematik. Der Cousin des Regisseurs hatte sich als Teenager von Algerien alleine nach London durchgeschlagen, mittlerweile lebt er fast 20 Jahre schon in England und ist doch irgendwie nicht dort zu Hause, allerdings ist er im heimatlichen Algerien auch nur noch fremd. Der Film ist in Kapitel unterteilt, in denen sich das Leben des englischen Cousins wie in Schleifen wiederholt. In England: früh aufstehen, arbeiten in der Fabrik, mit den Kumpels Bier trinken, auf dem Sofa dösen und alles wieder von vorne. Vorbereitung für die Reise nach Algerien: Einkäufe für die Familie, Gepäck wiegen, umpacken, wiegen… In Algerien: Ruhelosigkeit, Ziellosigkeit, auf dem Sofa dösen… Am Ende wird er Algerien zweimal vor den geplanten Ehen wieder verlassen haben, zurück nach England, den Kumpels, den miesen Jobs, dem Sofa. Nicht hier, nicht dort, schwebend.
Von den Wölfen direkt ins nächste Kino und zu einer Gruppe Exiliraker und ihrem Treffpunkt, einem Café in London. Das Exil ist in Baghdad in my Shadow von Samir aber eigentlich nur der offensichtliche gemeinsame Nenner, die Verbindung für eine Geschichte, die auf mehreren Zeitebenen spielt. Erinnerungen an Folter unter der Saddam Diktatur vermischen sich mit kulturellen Belangen in Bezug auch auf Sexualität und Selbstbild, Verschiebungen innerhalb und über die Generationen, Fragen nach Identität und Zugehörigkeit, religiöse Auslegungen und Verrat. Und das alles spannend wie ein Krimi, weil wirklich erst am Schluss alle Puzzleteile dieser komplexen Geschichte offen liegen. Die schweizerisch-deutsch-englisch-irakische Koproduktion hat alles um international ein Erfolg zu werden: Spannung, Witz, tolle Schauspieler, intelligente Dramaturgie, gute Kamera. Am Ende des Films herrschte erstmal eine ganze Zeit Stille, bevor der Film seinen verdienten Applaus bekam.

Der heutige Tag hat es deutlich gezeigt: Eintönigkeit kann man dem schweizer Film wirklich nicht vorwerfen.

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