#FilmTipps Welten Retter

 

 

(c) ch.dériaz

Ab ins Kino

Zum Jahresende noch ein paar Filmtipps, immerhin sind die Kinos zurzeit ja geöffnet, das sollte man dringend ausnutzen.

Popcornkino

 

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Superhelden, Superschurken und die Rettung, nicht nur eines Universums, sondern gleich einer ganzen Palette von Multiversen, um nichts weniger geht es in:
Spider-Man: No Way Home von Jon Watts.
Irgendwie sind ja alle Spider-Man Filme, neben Actionfilmen, hauptsächlich Filme, die vom Erwachsenwerden handeln. Spider-Man der ewige Teenager, der das Böse aus der Welt schafft, auch wenn er sich dabei die Nase blutig schlägt. Das ist im neuen Spider-Man nicht anders. Ganz im Gegenteil, neben viel Action, Tricks und visuellem Spektakel, gibt es auch Lebensweisheiten mit auf den Weg: Macht oder Kraft birgt auch Verantwortung, das Leben geht weiter, auch wenn man trauert..


Kinderfilm

Und dann wartet der Film mit der wohl zartesten und keuschsten Liebesgeschichte auf, die man sich heute im Kino vorstellen kann. Das ist auf altmodische Art süss, aber vermutlich dem Umstand geschuldet, dass der Film ab 10 Jahren freigegeben ist. Wobei man sich da auch gleich fragen kann, wie gut Kinder mit dem Konzept der Multiversen oder der Modifizierung der Vergangenheit zum Wohl des Grossen Ganzen klarkommen.
Aber sei es, wie es ist, der Film bietet rasante Unterhaltung, Witz und Tempo, langweilig wird einem nicht. Und so ein bisschen Weltenretter kann man sich im Augenblick eigentlich auch ganz gut vorstellen.

 

Was ist Freiheit?

 

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In Sebastian Meises Grosse Freiheit wird keine Welt gerettet, sondern eine vergangene, hermetische Welt nachgezeichnet. Es ist gar nicht so lange her, da galten Männer, die Männer liebten, als Verbrecher, der daraus resultierende Kreislauf: Lieben und Strafen.
Der Film hat jede Menge Vorschusslorbeeren, ist auf der Oscar-Shortlist für den besten nichtenglischsprachigen Film.
Was hauptsächlich begeistert, ist die Bildgestaltung der Kamerafrau Crystel Fournier, sie schafft eine Bilderwelt, die eine Art Ästhetik des Grausamen entstehen lässt. Beklemmende Gitterräume, Treppenhäuser, die Angst auslösen, ein Spiel mit Dunkelheit, das einem den Atem raubt. Dabei bleibt sie immer der Geschichte verpflichtet, zeigt die Handelnden in vielfältigen Verletzlichkeiten.


Verschiedenzeitlichkeit

Die Erzählstruktur ist spannend, immerhin springt der Film von 1968, dem Film-Heute, ins Jahr 1945, 1957 und wieder zurück. Die Wechsel sind fliessend innerhalb der gerade stattfindenden Aktionen: Tür zu 1968, Tür wieder auf 1945. Das funktioniert wunderbar, und erzählt so auf leichte, originelle Weise von der Gleichartigkeit des Alltags im Knast, im Leben der Protagonisten. Es fordert von Zuschauer unbedingt Aufmerksamkeit, weil manche Antworten vor den Fragen geliefert werden, und die nicht lineare Zeitführung sich oft nur in kleinen Details erzählt. Schade ist, dass dann doch einige Wendungen in der Geschichte extrem vorhersehbar sind. Schade auch, dass die wirklich tollen Darsteller, Franz Rogowski und Georg Friedrich, ihre wenigen aber wichtigen Dialoge ziemlich nuschelig liefern. Und nein, es geht dabei nicht um Rogowskis leichtes Lispeln.
Dennoch, der Film ist sehenswert. Ob er die prüden Amerikaner, trotz recht expliziter Szenen, die dank der Bildgestaltung, zumindest in Europa, öffentlichkeitstauglich bleiben, überzeugen wird, ist eine andere Sache.

 

Familie, hat man eben

 

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Ein weiterer Kandidat für die Auslandsoscars ist È stata la mano di Dio (Die Hand Gottes) von Paolo Sorrentino.
Komisch, einfühlsam, grausam und wieder komisch.
Neapel in den 80er Jahren, der 16-jährige Fabio zwischen skurriler Familie und Fussballfieber. Auf die Frage, ob er sich eher wünschen würde, mit seiner sexy Tante schlafen zu können, oder dass Maradonna zum SSC Neapel kommt, wünscht er sich ohne zu zögern Maradonna. Und so wirbelt der Film durch die ersten Schritte Richtung Erwachsensein und zeigt dabei ein ganzes Panoptikum an schrägen Figuren, abstrusen Situationen und warmherzigem Kinderleben. Auch hier muss der Held lernen, dass Leben auch bedeutet, Entscheidungen zu treffen und mit Trauer umzugehen.
Gegen Ende hätte es dem Film gutgetan, etwas abzukürzen, aber man kommt unterhalten, erfreut und auch nachdenklich aus dem Kino.

Alle Filme laufen auch im neuen Jahr in den Wiener Kinos.
Auf ein gutes Kinojahr 2022 und auf weiterhin offene Kunstbetriebe.

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Filmtipp: Draussen und bei freiem Eintritt

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Der Wiener Karlsplatz liegt zentral und bleibt trotzdem, spätestens wenn die Karlskirche ihre Tore für Besucher schliesst, weitgehend touristenfrei. Urbaner Raum fast völlig frei von Kommerz und Kaufzwang, man kann sitzen und in den Himmel schauen, die Füsse im Teich vor der Karlskirche kühlen, oder eben, an Sommerabenden bei freiem Eintritt Filme schauen.

Bis zum letzten Sommer bespielte „Kino unter Sternen“ den Platz, aber nach Problemen mit der Finanzierung war dann Schluss.
Zum Glück hat sich nahtlos das CineCollectiv der Sache angenommen und so gibt es unter dem schönen Namen Ka lei dos kop bis zum 19. Juli wieder Filme zu sehen.
Die vier Macherinnen, Djamila Grandits, Marie-Christine Hartig, Lisa Mai und Doris Posch, haben ein buntes und spannendes Programm zusammengestellt, da sollte für jeden der passende Film zu finden sein.

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Hier also vier völlig subjektive Tipps für Filmabende unter freiem und hoffentlich sternenklarem Himmel:

 

3. Juli, 21 Uhr

In Sie ist der andere Blick portraitiert Christina Perschon in eigenwilliger filmischer Handschrift Künstlerinnen, die in den 60er und 70er Jahren gegen Vorurteile und gesellschaftliche Konventionen zur feministischen und künstlerischen Avantgarde wurden. Malerinnen, Filmemacherinnen, Photographinnen, grosse Namen, die auch heute noch gross sind: Linda Christanell, Margot Pilz, Karin Mack Lore Heuermann. Manches in dieser Dokumentation funktioniert hervorragend, wie gleich zu Anfang, die in 16 mm gedrehten Passagen, in denen Leinwände grundiert werden, immer wieder, immer weiter, und immer abstrakter werdend, darunter von allen Künstlerinnen erste Interviews, die Geschichte ihrer Anfänge. Als Rahmen dient allen Künstlerinnen dasselbe, leere Atelier, das sie mit sich und ihrer Kunst „bespielen“. Manchmal wünscht man sich nur, etwas genauer zu sehen was sie zeigen, worüber sie reden, wie bei den Photos, von denen Karin Mack spricht, sie bleiben in der Totale, und werden nur kurz Richtung Kamera gehalten. Auch Renate Bertelmanns Kautschukobjekte wären aus der Nähe sicher schön anzusehen. Und ob einem gefällt, wenn Interviews einfach hart zusammengeschnitten werden bleibt wohl Geschmackssache. Spannend und interessant ist der Film dennoch.

6. Juli, 21 Uhr

54 Minuten reinste Freude. Under the Underground von Angela Christlieb führt filmisch durch ein Chaos an Elektroschrott, Maschinen, technischem Gerät, mal funktionierend , mal eher dekorativ. Die Kellerräume sind Proberaum, Tonstudio, Bastlerwerkstatt und Wohnraum von Janka Industries. Underground im doppelten Wortsinn, das messihafte Durcheinander findet ganz natürlich seine Entsprechung im Bildfluss, bleibt dabei aber doch sehr genau strukturiert, wie vermutlich das Chaos im Keller, für seine Bewohner strukturiert ist. Ein Gesamtkunstwerk, aus Inhalt und Form.

12. Juli, 21 Uhr

Die Armut und Verwahrlosung in Ray and Liz von Richard Billingham springt einem von der Leinwand fast spür- und riechbar entgegen. Am Stadtrand von Birmingham spielt die autobiographische Familiengeschichte, eine Art visueller Sozial-Autopsie in spannenden Bildern. Extreme Detailaufnahmen, mal von krabbelndem Getier, von zitternden Fingern am Glas, oder Teilen von Gesichtern, um dann wieder einen Schritt zurück, und in ruhigen, sehr exakt in 4 : 3 kadrierten Bildern die Szenen zu betrachten. Es entsteht so ein Gefühl für die Situation der Figuren, Anteilnahme ist möglich, (ab)werten bleibt aus.

16. Juli, 21 Uhr

Auf den ersten Blick geht es in As boas maneiras / Good manners von Juliana Rojas und Marco Dutra um eine Krankenschwester, die bei einer Schwangeren eingestellt wird, und um eine Nacht, die alles verändert. Was dann aber drin steckt, ist ein ziemlich grelles Horror-Märchen. Der Kontrast: arme Krankenschwester, reiche – und wie es scheint – verwöhnte Schwangere ist aber nur der Einstieg in eine Geschichte, in der sich Stück für Stück herausstellt, was da für ein Monster im Bauch heranwächst, und mit Schockeffekt zur Welt kommt. Im zweiten Teil, des mehr als zwei Stunden langen Films, dreht sich alles um die Kindheit der Kreatur. Der Film ist spannend und modifiziert fast liebevoll gängige Horrorstrukturen, man sollte nicht zu zimperlich sein, was blutige Szenen angeht, aber auch damit umgehen können, dass, in Art des Chors in griechischer Dramen, aus den Szenen heraus ein kommentierender, warnender Gesang anhebt, dann aber ist der Film eine grosse Freude. Dass dieser schöne Film in einer Vollmondnacht programmiert ist, versteht sich von selbst.

Das gesamte Programm gibt es hier.