Locarno 2020 Die Eröffnung

Locarno_Homeoffice
Locarno_Homeoffice
(c) ch.dériaz

Locarno Filmfestival im Homeoffice

Zu kurzfristig, die Lage zu unsicher und dann noch andere Arbeit, die sich dazwischen geschoben hat, dieses Jahr also Berichte vom Locarno Festival, bequem vom heimischen Sofa aus.

Mittwoch, 5. August, 20 Uhr.
Der Computer ist aufgeladen, Getränke kalt gestellt, aber draussen ist es zu kalt, zu hell und zu laut. Die Eröffnung also innen.
Wobei, in Locarno findet zur gleichen Zeit ja auch alles in Innnenräumen, genannt Kinos, statt. Passt also.
Nochmal alles gerade rücken, die Live Online Übertragung der Eröffnung kann beginnen.

Eröffnung Online
Eröffnung Online
(c) ch.dériaz


Und schon geht der Ärger auch los.
Live und Online ist nicht so richtig zuverlässig, das Bild stoppt, Fehlermeldungen erscheinen, das Bild läuft wieder. Eine Weile geht alles gut, die Politik kommt zu Wort und es gibt viel Lob für das Festivalteam, viel Unterstützung auch, nicht nur für das Festival, sondern für den Film und die Filmschaffenden allgemein.
Festivalpräsident Marco Solari beginnt seine Rede auf Deutsch, und wirft gleich ein trotziges „wir lassen uns nicht unterkriegen“ in den Saal. Recht hat er.
Der Leopard mag dieses Jahr nicht über die Leinwand der Piazza Grande schleichen, sein Knurren ist aber deutlich vernehmbar.

LocarnoFilmFestival_MarcoSolari_200701-4_©SabineCattaneo
LocarnoFilmFestival_MarcoSolari_200701
©SabineCattaneo

Die 73. Ausgabe des Locarno Filmfestivals ist also offiziell eröffnet, mit einem anderen Programm als üblich, mit andern Ausspielwegen, mit Hygieneregeln und Abstand, aber trotzdem mit Enthusiasmus und Liebe zur Filmkunst.

 

 

Ein bisschen wie Komaglotzen

Dem Online Pressezugang sei Dank können die Kurzfilme der Leoparden von Morgen bereits seit dem 29. Juli angeschaut werden. Das funktioniert tadellos und auf Anhieb, statt täglich um 14 Uhr in Locarno ins Kino zu gehen, gibt es täglich soviel Kurzfilme, wie das Hirn verarbeiten kann oder mag.
Ab 5. August 21 Uhr können dann auch alle anderen Zuschauer und Neugierigen die ersten Kurzfilme online anschauen.

Hier einige Filmtipps
Land Lot S7 (Parcelles S7) von Abtin Sarabi (Senegal/F/Iran)
Die archaische Arbeit, der Zuckerrohrernte im Senegal. Felder, Feuer, Zuckerrohr, Macheten, die Bewegungen folgen einem eigenen Rhythmus, wie ein Tanz. Dazwischen, oft nur ganz kurz, Menschen mit alten kultischen(?) Holzmasken. Unterlegt mit einem Gedicht übers Zuckerrohrschneiden. Eigenwillig, schön, interessant.
People on Saturday (Menschen am Samstag) von Jonas Ulrich (CH)
Urbane Räume, Glas, Beton strenge Linien oder Bögen, die Menschen, die sich darin bewegen, scheinen unwichtig, beliebig. Was trocken und etwas langweilig klingt, ist mit viel subtilem Humor und Witz behaftet, macht sehr viel Spass und ist alles andere als ein Produkt von Zufälligkeit.
Politische Kurzfilme
Bethlehem 2001 von Ibrahim Handal (Palästina)
Bethlehem unter Ausgangssperre, während draussen israelische Panzer und Soldaten gegen steinewerfende Palästinenser kämpfen; Erinnerungen an eine Kindheit, im Wechsel fast abstrakte Momentaufnahmen beim Spielen, im Alltag und dazwischen Originalaufnahmen der Aktionen in den Strassen der Stadt. Im Erinnern wird der Off-Sprecher wieder zum Kind. Ziemlich cool ist das.
I ran from it and was still in it von Darol Olu Kae (USA)
Foundfootage, privat Filme, verschiedene Bildformate, im Off Texte von Dichtern oder politischen Persönlichkeiten, ein Experimentalfilm über persönlichen Verlust und Trauer, und deren Universalität; alles vor dem Hintergrund Schwarzen Lebens in den USA.
History of Civilization von Zhannat Alshanova (Kasachstan)
Eine beliebte Dozentin am Vorabend ihres Umzugs von Kasachstan nach England.
Auf 15 Minuten komprimiert: Lebensperspektiven, Liebe, Heimat, Politik und soziales Miteinander, und das in wunderbaren Bildern und einer ganz einfachen Geschichte erzählt.
Animation geht immer
Peel (Ecorce) von Samuel Patthey & Silvain Monney (CH)
Ein Altersheim: die Bewohner, dünne, durchscheinende Skizzen, der Strich flüchtig, wie das was von ihrem Leben noch bleibt, manchmal blitzen kurz Farbe auf, wie Erinnerungen. Sehr schön gemacht und auch berührend.
Salmon Men (Lachsmänner)
von Veronica L. Montaño, Manuela Leuenberger, Joel Hofmann (CH)
Bunte Bleistift Animation, von paarungswilligen Lachsmännchen und tanzenden, gurrenden (!) Lachsweibchen, stromaufwärts, stromabwärts. Es geht um Fische, um Natur, aber eben nicht nur. Sehr schön.
In 14 Tagen um die Welt – zumindest im Film

 

Leinwand,Stühle, Pardokuh
Leinwand,Stühle, Pardokuh
(c) ch.dériaz
Es muss einfach immer wieder gesagt oder geschrieben werden: Es müssen mehr Kurzfilme ausserhalb von Festivals gezeigt werden. Diese wunderbare Filmkunstform vermag es, in oft ganz wenigen Minuten, das Befinden und die Befindlichkeiten unserer Welt zu zeigen, ganz leichtfüssig, oft mit viel Humor, aber auch immer mit viel Ernsthaftigkeit.

Locarno 2020 bietet die Möglichkeit 31 internationale und 12 nationale (online wohl nur aus der Schweiz) Kurzfilme zu sehen.
Wer jetzt neugierig ist, sollte nicht zu lange zögern, pro Film sind 1,590 Zugriffe vorgesehen, das entspricht der Anzahl Zuschauer, die in einem „normalen“ Jahr im Kinosaal die Filme sehen könnten. Die Auswahl ist in zwei Tranchen geteilt, die ersten also ab sofort, die ist zweite ab 9. August zu sehen.
Und seit heute können hier auch die Kurzvorstellungen der Projekte, durch die Filmemacher, für die Filme von übermorgen angeschaut werden.