57.Solothurner Filmtage kämpferisch

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Dystopisches im Watt

 

Wenn man Geschichten, die erdacht werden, Glauben schenkt, dann bleiben wir, als Menschen, auch in Zukunft so blöd wie wir sind. Tim Fehlbaum zeigt das mit seinem dystopischen Science-Fiction-Film Tides auf ganz wunderbare Weise. Die Menschen haben die Welt zerstört und verlassen, Generationen später brechen Raumschiffe auf, um zu klären, ob auf der verlassenen Erde Reproduktion möglich ist. Bloss, so verlassen ist die Erde nicht, statt dessen haben sich zwei Gruppen gebildet, eine Art freigeistiger Rebellen und eine Art militanter Faschisten mit Überlegenheitswahn. Die Kamera ist fast immer nervös in Bewegung, die Bildausschnitte oft eingegrenzt. Nebelgrau, Matsch, Wasser und Rost bieten den Rahmen, das alles zieht einen sofort in die Geschichte. Eine sehr grosse Koproduktion mit Deutschland hat für die nötigen Mittel gesorgt, ein internationales Darstellerensemble und eben die eindringliche Kamera sorgen für Spannung. Obwohl man natürlich weiss, wie es ausgehen wird, weil solche Geschichten immer gleich ausgehen.

 

 

Schmerz

 

Do you remember me?
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Den physischen aber auch psychischen Schmerz, den eine Beschneidung bei einem Mädchen erzeugt, kann und mag man sich nicht vorstellen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, das Thema zu behandeln. Do you remember me? von Désirée Pomper und Helena Müller begleitet eine junge Schweizerin mit äthiopischen Wurzeln beim gleichermassen schmerzhaften wie befreiende Weg der Konfrontation mit ihrer Beschneiderin, mit ihrer Grossmutter, mit ihrer Vergangenheit. Es geht ihr dabei nicht nur um den eigenen Schmerz, sondern auch um Aufklärung für alle, denen dieses Schicksal erspart werden kann. Der Film ist immer sehr nah an der Protagonistin, begleitet, wo es die anderen zulassen, wahrt Abstand wo nötig, übergiesst aber leider zu viele Szenen mit überflüssiger Musik. Manche Momente im Film wirken fast zu glatt, um authentisch zu sein, aber das mag täuschen.

 

 

Krisen, Anfgang und Ende


Eine Airbnb Wohnung als Vorhof zur Selbstfindung. Une histoire provisoire von Romed Wyder wirft eine Iranerin am Ende ihrer Krisenbewältigung und einen Genfer am Anfang seiner Krise zusammen in eine Wohnung. Zunächst ist für beide Nähe das Letzte, das sie sich wünschen. Als eine quirlige amerikanische Touristin auch noch ein Zimmer mietet, werden die Selbstfindungsversuche etwas nach aussen geöffnet.
Das Klaustrophobische der Wohnung, das Lauern und das Nichtverstehen, gemischt mit plötzlichen, kurzen Flashs von Traumsequenzen, ist hübsch gemacht, anfangs auch interessant und lustig. Im Verlauf des Films zeigt sich aber ein völliges Fehlen einer Motivation, aus der Geschichte heraus, für das Handeln oder Fühlen der Figuren. Dadurch bricht die Geschichte dann auch ein, die Spannung und Leichtigkeit geht verloren.

 

Liebe suchen

 

Love will come later von Julia Furer ist ein schönes Portrait eines jungen Marokkaners auf der Suche nach Liebe. Denkt man anfangs, seine Liebschaften mit Touristinnen seien ein Mittel für ihn, Marokko für reiche, vornehmlich europäische Länder, zu verlassen, merkt man im Verlauf des Films, dass Samir tatsächlich nach seinem Glück in Form von Liebe, Kindern und Familie sucht. Der Film ist sensibel gestaltet, in sehr schönen Bildern gedreht und zeigt einen jungen Mann, auf den gängige Vorurteile vom maghrebinischen Mann nicht zutreffen. Ein sehr schöner Erstlingsfilm.

 

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Aufstehen

 

Eigentlich wollte Regisseur Frédéric Choffat einen Film zum Klimakollaps machen, ganz klassisch, mit Experteninterviews, Belegen etc. Doch dann stellt er verblüfft fest, dass seine beiden Kinder (14 und 17) in der Genfer Klimaaktivistenszene ganz vorne mitmachen. Er wechselt also von der Experten- zur Aktivistenperspektive. Tout commence ist das Ergebnis. Vielleicht ist der Film mit 90 Minuten etwas lang geraten, aber die Perspektive als Regisseur und Vater, ergibt durchaus eigenwillige Situationen. Und ja, die Zukunft sieht nicht rosig aus, weshalb das Aufstehen für eine Veränderung auf jeden Fall ein Thema sein muss.

 

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Die Solothurner Filmtage nähern sich langsam ihrem Ende.