Locarno#76 Die Eröffnung

 

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Schweres Wetter

 

Die Luft, dick und schwer, genau wie die Wolken, die tief über dem See hängen.
Es wäre nicht die erste Eröffnung in Locarno, die mit den bekannten „Spezialeffekten“ Regen und Gewitter startet.

 

 

 

Gute Idee, aber

 

Es könnte so praktisch sein:
Auf der Festivalseite anmelden, mit der Akkreditierten-Nummer Vorstellungen buchen, oder gebuchte Vorstellungen stornieren, dann auf der Festival-App alle diese Informationen, klein und handlich, zur Verfügung haben, und einfach ab ins Kino.
So weit die Theorie. Die Praxis zeigt, dass die Buchungen zwar funktionieren, die Tickets aber danach nirgends aufscheinen. Mehrere E-Mails mit dem Helpdesk ergeben das Offensichtliche: da funktioniert etwas nicht richtig! Erstaunlicherweise sind solche Schwierigkeiten zwischen Online-Angebot und Festivalpraxis oft nur in der Theorie gut.
Schade eigentlich.

 

Abschiede

 

 

Marco Solari
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Es ist Marco Solaris letztes Festival als Präsident. Seit 2000 war er das Herz und das – politische – Gewissen des Locarno Filmfestivals. Seine immer sehr emotionalen Reden, immer mehrsprachig, immer voller Enthusiasmus, werden fehlen. Aber nun, mit fast 80, darf er wohl an anderes denken, als an Arbeit. Und auch wenn er seine Nachfolgerin Maja Hoffmann als die beste Kandidatin bezeichnet, wird sie sicher an seiner Arbeit gemessen werden.

Nicht nur für Solari ist es ein Abschied, auch Bundesrat (und derzeit Bundespräsident) Alain Berset wird im kommenden Jahr bei allen Schweizer Festivals keine offizielle Funktion mehr haben, da er sich mit Ende des Jahres aus der Politik verabschiedet. Das ist insofern schade, als Berset ein echter Filmnarr ist, dem man seine Begeisterung nicht nur anmerkt, sondern der auch filmpolitisch einiges geleistet hat.

Marco Solari und Alain Berset
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Noch einmal also hat Solari mit Nachdruck nicht nur die Freiheit, künstlerische wie auch ideologische, sondern auch Wahrheit, um jeden Preis, für das Festival gefordert. Und Berset, mehr Spassvogel denn Staatsmann, machte zur letzten Eröffnung Scherze über sich selbst.
Jedes Ende ist aber auch ein Anfang, und das 76. Locarno Filmfestival fängt jetzt erst an.

 

 

Guten Abend Locarno

 

 

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Die schweren Wolken haben sich entschieden, sie lassen Wasser auf Leinwand, Publikum und Eröffnung fallen, und zwar nicht zu knapp. Dennoch, Menschen strömen auf die Piazza und tatsächlich findet – unter einem mobilen Dach – auch der offizielle Teil draussen statt, und nicht wie sonst oft im trockenen Fevi-Kino. Kurz scheint es, als würde der Regen doch noch aufhören, aber nein, pünktlich zum Beginn der Filme dreht er noch mal so richtig auf. Auch schon egal, von den Regencapes tropft es, manche flüchten doch noch schnell.
Die, die geblieben sind, haben einen tollen ersten Filmabend vor sich.

 

Surreal

 

Der Kurzfilm Dammi von Yann Mounir Demange sollte eigentlich auch den Ehrenpreis an den Schauspieler Riz Ahmed begleiten, der ist aber wegen des Streiks der amerikanischen Schaupielergewerkschaft nicht angereist. Dammi erzählt von einer Suche: nach Identität, nach Heimat, nach Liebe, nach sich selbst, und das in wunderbar fieberhaften Bildern. Das nächtliche Paris scheint um die Figuren zu kreisen, Dialogfetzen und Gedankenfragmente verdichten die Stimmung, das Suchen wird fühlbar, mitfühlbar.

L’Étoile Filante von Fiona Gordon und Dominique Abel entzieht sich eigentlich einer Beschreibung. Trotzdem hier eine Annäherung an diesen tollen Film.
Ein Mann und sein Doppelgänger, beide mit Traumata geschlagen, beide eigentlich weltabgewandt. Der eine betreibt eine kleine Kneipe und war früher Bombenleger, der andere gärtnert zurückgezogen und trauert um seine verstorbene Tochter. Als ein Unbekannter den Bombenleger erkennt, und versucht ihn zu erschiessen, könnte der Doppelgänger die Lösung des Problems sein. Und diese wilde und etwas wirre Konstellation wird mit so viel Charme, Leichtigkeit, Einfallsreichtum und pantomimischem Slapstick kombiniert, dass man schwindlig wird vor Begeisterung. Die, die geblieben sind, sind am Ende des Abends nass, aber glücklich.

Ein guter Start ins Festival, und das Wetter wird sicher noch besser und die Festival-App wird sicher auch bald funktionieren.