#Locarno75_ Zum Schluss

 

 

(c) ch.dériaz

 

Brotjob zuerst

 

Als Kelly Reichardt gestern Abend ihre Ehren-Leoparden bekam, wurde auch sie gebeten, einen Tipp für zukünftige Regisseure und Regisseurinnen zugeben.
Dieser Rat fiel gleichermassen pragmatisch wie traurig aus: „Sucht euch auf jeden Fall einen Brotjob“. Film(kunst) bleibt ein Vergnügen, das man sich leisten können muss, vor allem, wenn man unabhängig von eingefahrenen Sehgewohnheiten und Formen produzieren will.

 

(c) ch.dériaz

 

Hexen

 

Bei gleissendem Sonnenschein ein letztes Mal in einen dunklen Kinosaal.
Der Kontrast von realem Aussen zu Svetlonoc (Nightsiren) von Tereza Nvotová könnte nicht grösser sein. Ein abgeschiedenes Dorf in der Slovakei, die Menschen dort sind abergläubisch, heuchlerisch und brutal. Hier ist es normal, seine Ehefrau zu prügeln, der jungen Nachbarin nachzustellen und alles, was ein bisschen fremd ist, als Hexe zu diffamieren.
In dieses Dorf kommt eine junge Frau zurück und findet sich fast sofort mitten im Strudel aus Missgunst, Aberglaube und Brutalität. Nur langsam erschliessen sich die Beziehungen der Frau mit den anderen Dorfbewohnern und mit einer weiteren jungen Frau, die erst seit kurzem im Dorf lebt. Ein düsteres Märchen voller schwarzer Symbolik und mit viel reinigendem Feuer.

 

 

Lichtspiele
(c) ch.dériaz

Die Leoparden-Show

 

Dieses Jahr gab es nicht nur viele schräge, ungewöhnliche Filme im Programm, sondern auch viele Filme, die mutig Themen behandelt haben, die ausserhalb des Gängigen liegen. Und so gehen alle Leoparden an wirklich aussergewöhnliche und tolle Filme und ihre Macher und Macherinnen.

Besonders schön sind zwei der Preise der Jugendjury, weil sie sich wirklich zwei komplexe, komplizierte und sehr schöne Filme ausgesucht haben:
Piaffe von Ann Oren und Balıqlara xütbə (Sermon to the fish) von Hilal Baydarov.

 

Goldener Leopard
(c) ch.dériaz


Pardo d’oro Internationaler Wettbewerb:
Regra 34 (Rule 34) von Julia Murat

Pardo d’oro Cineasti del presente:
Svetlonoc (Nightsiren) von Tereza Nvotová

 

 

Spezialpreis der Jury Cineasti del presente:
Yak Tam Katia? (How is Katia?) von Christina Tynkevyc
Bester Erstlingsfilm:
Sigurno mjesto (Safe Place) von Juraj Lerotić
WWF Pardo verde:
Matter out of Place von Nikolaus Geyrhalter

Alle Preise gibt es hier.

 

Alle Preisträger&Julia Murat
(c) ch.dériaz

 

Letzte Vorstellung

 

Nachdem alle Preisträger auf der Bühne waren und Präsident Marco Solari das Festival mit Dank an alle Beteiligten beendet hat, ein letzter Film.

Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit von André Schäfer.
Wer den Autor Suter kennenlernen will, hat in diesem Dokumentarfilm Gelegenheit, sowohl seinen Werdegang, sein Privatleben und Texte seiner Bücher zu sehen. Die Mischung, auch mit unter den Buchpassagen liegenden (stummen) Spielszenen, und Suter in allen Lebenslagen, ist eine Weile lustig, nutzt sich aber doch schnell ab. Danach wird der Film eher langatmig und etwas eitel. Die lustigste Szene, die auch spontan Applaus bekam: Suter und der Musiker Stephan Eicher überqueren den „Röstigraben“, sie reden dabei zunächst Französisch miteinander, dann mitten im Satz und im Gehen Schweizerdeutsch, bleiben stehen, gehen zurück, das gleiche Spiel, und wieder vorwärts, nochmal der Sprachwechsel im Satz, im Gehen.
Das ist kurz genug gehalten, um wirklich lustig zu sein, und sehr schweizerisch.

 

(c) ch.dériaz

 

Das war also die 75. Ausgabe des Locarno Filmfestivals. Es war wärmer als in manchen anderen Jahren, es war so voll wie seit zwei Jahren nicht mehr, es war insgesamt ein schönes Festival.
Am 2. August 2023 wird Marco Solari, zum letzten Mal als Präsident, das Festival eröffnen. Bis dahin heisst es, Ausschau halten, nach den Filmen, die hier gelaufen sind und ins Kino gehen.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zwei + zehn =