#Diagonale 2024 Sichtbarkeit

 

 

(c) ch.dériaz

 

 

Sichtbarkeit

 

Im Vergleich zu vergangenen Jahren scheint die Diagonale im Strassenbild weniger sichtbar zu sein. Wo früher überall die roten Fahnen mit dem Diagonalelogo hingen, findet sich in diesem Jahr nichts. Allein in den Schaufenstern der Stadt finden sich Interpretationen und Varianten des neuen Logos, der Wettbewerb zum besten Schaufenster läuft auch in diesem Jahr.

Bei der Online-Buchung der Filme hat sich nichts geändert – leider. Denn weiterhin gibt es zur Buchung keine Saalpläne, auf denen man sich den Sitzplatz aussuchen kann, sondern nur eine Liste verfügbarer Plätze, man kann dann raten, wo der Platz im Kinosaal und zur Leinwand liegen wird. Auch gibt es weiterhin keine App, mit der man unterwegs die gebuchten Plätze bestätigen (oder stornieren) kann. Das ist unpraktisch, denn die Karten müssen bestätigt werden, und so muss man mit Mobilgeräten auf der Webseite navigieren. Unpraktisch.

 

Über Grenzen

 

Das erste Programm: Kurzdokumentarfilme, die alle thematisch um Grenzen, Grenzüberschreitung und Identität kreisen. Fast alle Filme suchen und finden Bilder, um die „Erzählung“ aus dem Off zu verdichten.
In Those Next to Us von Bernhard Hetzenauer erzählt ein Mexikaner, wie er versucht hat, mithilfe von Schleppern in die USA zu gelangen. Es ist eine tragische, eine unangenehme Geschichte, auch wenn die Stimme sie fast beiläufig erscheinen lässt. Menschen sterben bei diesem Versuch, die anderen werden eingesperrt und zurückgeschickt. Bebildert wird das mit ruhigen Totalen auf beiden Seiten der Grenze, Autos fahren vorbei, Lastwagen in langen Schlangen, eine weite Ödnis, deprimierende Orte, von denen man weder losfahren noch dort ankommen möchte. Gedreht wurde auf analogem 16 mm Material, das dem Film eine gewisse Körnigkeit verleiht, die das Triste sanft unterstreicht.

Auch Memories of the Foreign von Tolga Karaaslan lässt im Off eine Migrationsgeschichte aufstehen. Eine Geschichte, wie sie in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts üblich war: Nur kurz sollte die Zeit im Ausland dauern, und dann blieb man, es kamen Kinder, es kamen deren Kinder, die in der Fremde der Eltern und Grosseltern zu Hause sind. Auch hier sind die Bilder körnig, schwarzweiss und, da auf 8 mm Material gedreht, leicht verschwommen. Häuser und Orte, stellvertretend für andere Orte, andere Strassen, die erst Unterkunft und dann zu Hause waren.

Bond von Anna Witt arbeitet mit einer Gruppe Jugendlicher in Bremen, die meisten Enkel von Gastarbeitern der 70-er Jahre. Sie erforschen ihre Identität als Deutsche mit Wurzeln in anderen Ländern, die ihnen auch nah und wichtig sind. Spielerisch arbeiten sie mit Photos aus der Zeit ihrer Grosseltern, stellen sie nach, interagieren damit. Und bei allem Spass bleibt doch der ernste Wunsch, sich sichtbar zu positionierten in dieser Welt.

Im letzten Film des Programms wieder Off-Erzählungen. Mona Rizaj lässt in Mut Me Lule ihre Grosseltern in Österreich und im Kosovo zu Wort kommen. Im Zusammenschnitt der Erzählungen und der Bilder der jeweiligen Wohnorte zeigt sich, wie ähnlich sich die Familien sind, wie ähnlich auch ihre jeweiligen Vorbehalte gegen die binationale Ehe ihrer Eltern waren. In ihr und in ihrem Film wird das Trennende zum Verbindenden und das auf ganz leichte Art.

 

 

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Wie alles anfing

 

Unter dem Titel „Die erste Schicht“ widmet sich eine eigene Filmschiene der ersten Generation, die man in den 60er und 70-er Jahren Gastarbeiter nannte. Nicht der Aussenblick auf die Menschen, sondern ihr eigener filmischer Blick soll dabei im Zentrum stehen.

Der Kurzfilm von 1971 Jesenice–Stuttgart itd … von Miroslav Mikuljan mischt Bilder der in Jugoslawien in übervolle Züge steigende Menschen mit einer festlichen Ansprache eines deutschen Gewerkschaftsführers und schrägem Bierzeltliedgut. Daraus entsteht ein absurdes Kunstwerk, so komisch wie entlarvend und bitter.

Otobüs / Der Bus (1975) von Bay Okan treibt das Absurde weiter ins Surreale. Eine Gruppe türkischer Männer wird von ihrem, ebenfalls türkischen, Schlepper auf einem Platz mitten in Stockholm ohne Papiere und ohne Geld in einem schrottreifen Bus „geparkt“. Während der Schlepper mit der Kohle nach Deutschland zu seinem – deutschen – Auftraggeber verschwindet, trauen sich die Männer in Stockholm höchstens Nachts aus dem Bus. Alle Figuren im Film sind überzeichnet, stereotyp, und die Situationen, die entstehen, werden immer grausamer. Eine surreale Parabel zum Thema Fremdsein, Gleichgültigkeit und Ausbeutung. An die heute etwas plump wirkende Inszenierung gewöhnt man sich nach einem Moment. Der Film ist ein echtes Juwel.

 

Hinter den Kulissen

 

Graz fühlt sich an wie Frühsommer, nicht wie Frühjahr, also ein schnelles Eis zwischen den Kinos; gar nicht so einfach, weil, auch wenn die Grazer Innenstadt eine der höchsten Eisdielendichten hat, sind überall lange Schlangen.
Trotz sommerlicher Lebensfreude, die Vorstellungen sind gut besucht.

Eine Art Gegenblick zu den Filmen heute Vormittag: Vista Mare von Julia Gutweniger und Florian Kofler. Sie zeigen das aufwendige und personalintensive Arbeiten hinter den Kulissen italienischer Adria-Orte. Vom Aufbau über die Hauptsaison bis zum Abbau im Herbst. Sowohl der Aufwand als auch das touristische Gewusel in der Hochsaison sind beeindruckend. Eine Maschine aus –vermutlich schlecht bezahlten – Saisonarbeitern, die sich um den Industriezweig Tourismus kümmern, gedreht in sehr schönen Bildern.

 

Beziehungen

 

Romantische Komödien können sehr nervig sein, meist laufen sie nach einem öden, bekanntem Muster ab, das man nach den ersten 10 Minuten mitbeten kann. Manchmal gibt es dann welche, die mit den gleichen Komponenten sorgfältiger umgehen, subtiler um die Kitschklippen fahren, und dann trotz aller Vorbehalte lustig und unterhaltsam sind. What a Feeling von Kat Rohrer schafft das – zumindest fast. Nicht weil sie zwei Frauen in amouröse Verwicklungen schickt, sondern vor allem, weil sie zwei wirklich toll spielende Darstellerinnen, Carolin Peters und Proschat Madani, hat. Allein wie Peters sturzbetrunken durchs nächtliche Wien stolpert, ist sehenswert. Besoffen, wie sie ist, weil ihr Mann ihr gerade eröffnet hat, sein Leben umkrempeln zu müssen, stolpert sie wörtlich in eine Lesbenkneipe. Dort lernt sie eine Frau kennen. Aber ist etwas passiert zwischen beiden oder macht sich Fa nur über Marie-Theres lustig? Mit einigem Hin- und Her, mit Geheimniskrämerei auf beiden Seiten, nimmt die Komödie die gefährlichste Klippe, die, wo eine dramatische Intervention das Ganze böse an den Kitsch verlieren kann. Ein bisschen weniger dick hätte es am Schluss ruhig sein dürfen, auch bei einer Komödie müssen vielleicht nicht alle Protagonisten am Ende glücklich, geläutert oder zufrieden sein. Dem Publikum gefiel es, der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, und der Film wird sicher auch regulär im Kino gut laufen.
Ein Plus an queerer Sichtbarkeit, auch bei gängigen, populären Filmgenres, ist sicher schon mal eine gute Sache.

 

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