#Diagonale 2022 Viel Schwarz-Weiss

 

 

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Der Anfang

 

Wie bei vielen Festivals ist mittlerweile nicht nur die Reservierung online zu machen, sondern auch die Tickets bleiben virtuell. Im Prinzip funktioniert das ganz gut, bloss  die online Platzauswahl ohne Saalplan gestaltet sich etwas schwierig.
Welche Reihe ist wo?
Welcher Sitzplatz ist am Rand zum Gang, welcher am Rand zur Wand?
Etwas lästig auch, dass die Tickets jeweils ab eine Stunde vor der Vorstellung nochmal bestätigt werden müssen. Aber das wird sich in den kommenden Tagen schon noch einspielen. Dafür ist zwischen den Vorstellungen wirklich viel Luft, Zeit also durch das frühjahrblau strahlende Graz zu spazieren.

 

 

Konzeptuell Asynchron

 

Das erste Programm. Kurzdokumentarfilme.
Eine sehr gute Wahl, wie sich zeigt.
Die 4 Kurzfilme arbeiten alle mit einer gewissen Form von dramaturgischer Asynchronität, das ergibt vier völlig unterschiedliche, fordernde und spannende Filme.

In Sekundenarbeit von Christiana Perschon entsteht die Spannung nicht nur durch den Wechsel von schwarzer Leinwand mit Interviewton zu stummen Bildern, sondern auch aus der Auseinandersetzung zweier Künstlerinnen. Perschon portraitiert die 95-jährige Malerin Lieselott Beschorner, die ihrerseits das Handwerk der Regisseurin betrachtet. Gedreht wurde mit einer Bolex mit Handaufzug, es entstanden wunderbare schwarz-weiss Bilder, manche fast abstrakt, dann einfach nur ruhig, beobachtend.

Ebenfalls schwarz-weiss und ebenfalls auf 16 mm Film gedreht ist Einblick von Emma Braun. Auch hier sind Bild- und Tonebene eigenständig. Eine Studie über Stille, die Stadt am frühen Morgen und eine junge Frau in einem eher ungewöhnlichen Beruf. Die Handgriffe und Bewegungen der Schornsteinfegerin Sophie, präzise, unaufgeregt und dazu ihre Erfahrungen und Gedanken, die auch von unangenehmen Situationen im Job erzählen. Wunderschöne, stimmungsvolle Bilder und ein interessanter Einblick.

There was no on here before von Antonio Mérida erscheint plötzlich sehr bunt gegen die beiden ersten Filme. Die Asynchronität hier ist im unterschiedlichen Herangehen an den Film(dreh) selbst. Auf der einen Seite die junge Schauspielstudentin, die eigentlich einen Spielfilm möchte, auf der anderen Seite der Regisseur, der einen Dokumentarfilm machen will. Was am Ende entsteht, ist ein eigenwilliger Kompromiss aus dokumentarisch-inszenierten Gesprächen und Gedanken. Eine Art Liebesgeschichte der Kamera mit dem schönen Frauengesicht und das Tauziehen zweier künstlerischer Ansätze.

Radikal reduziert ist Zumindest bin ich draußen gewesen von Jan Soldat.
Bilder von Büschen, Bäumen, Gräsern, menschenleer, darübergelegt Chatnachrichten aus einem Schwulen Datingnetzwerk. Auch hier laufen die Wünsche von Regie und potenziellen Protagonisten auseinander, niemand will sich an diesem Tag vor die Kamera stellen, und so bleiben nur die kurzen Chats, und die leeren Büsche.

 

 

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Auswandern

 

Mit den langen Pausen zwischen den Filmen ist tatsächlich auch Essen möglich. Eine neue Erfahrung bei einem Festival.
Ausgeruht also in den nächsten Dokumentarfilm, Good life deal von Samira Ghahremani. Ein Wiener, Ende 40, Frührentner, wandert nach Thailand aus. Der Plan ist, dort seine Freundin, ebenfalls Ende 40, resolut, robust, geschäftstüchtig, zu heiraten. An sich klingt das schon, als könnte das nicht gut ausgehen. Geht es dann auch nicht. Hauptprotagonist des Films ist der Wiener Gerhard, ihm folgt die Kamera, die Geschichte, sachlich und auch etwas distanziert. Der Film hat immer wieder fast komische Momente, und sehr viele Passagen, wo beide, Gerhard und Amy, so unsympathisch sind, dass man keine Partei ergreifen mag und der Ausgang dieses Abenteuers irgendwie egal ist. Aufgrund der Sachlichkeit des Films, ist dieses vermeintliche Manko aber durchaus angenehm.

 

 

Auf See

 

Schiffe auf dem Mittelmeer, sie sind Arbeitsplatz, Urlaubsort oder Sozialprojekt, sie sind völlig unterschiedlich, und zunächst eint sie nur der gemeinsame Ort, das Mittelmeer. Jola Wieczorek verwebt diese ungleichen Schauplätze in Stories from the sea zu einer wunderbaren Einheit. Anfangs bekommen die Schiffe und ihre Protagonistinnen jeweils viel Raum zum Kennenlernen. Zuerst das Frachtschiff und die Auszubildene Jessica. Das Brummen der Maschine, die einzelnen Handgriffe, egal ob kräftezehrend an Tauen oder eher mathematisch beim Berechnen der Route, die Kamera liefert faszinierende Einblicke. Der Wechsel auf das Kreuzfahrtschiff zu Amparo, einer Witwe, erfolgt ganz organisch, man gleitet von einem Schiff zum nächsten. Von harter Arbeit zu Prunk und Luxus und ständiger Bespassung. Und doch bleibt man spürbar auf dem Meer. Dann wieder ein Wechsel, diesmal auf zwei Segelschiffe, auf denen zusammengewürfelte Menschen 10 Tage gemeinsam segelnd versuchen auch einen neuen Blick auf ihre Umgebung zu bekommen. Im Verlauf des Films werden die Wechsel von einem Schiff aufs andere schneller, bleiben aber immer im Fluss und verbinden oft Ähnliches. Man ist fast sicher, dass die Schiffe sich bald schon treffen werden.
Die schwarz-weiss Bilder sind eine zusätzliche einende Ebene, die von der Schnittdramaturgie exzellent herausgearbeitet wird. Ein ganz ruhiger, sehr schöner Film.

 

 

Aussteigen

 

Maria Petschnig erzählt in Uncomfartably Comfortable von Marc, einem New Yorker Obdachlosen. Am Anfang des Films lebt er noch in seinem Jeep, später dann ganz auf der Strasse. Seine Obdachlosigkeit, wie er beteuert, selbstgewählt.
Auch in diesem Film ist die Interview/Dialog-Ebene von der Bildebene unabhängig, das ist prinzipiell eine gute Sache, funktioniert hier aber nur teilweise. Das Problem sind recht wahllos eingefügte kurze Stücke Schwarz. Mal in einer Einstellung, mal zwischen zwei Einstellungsgrössen ein und derselben Handlung, manchmal als eine Art Trenner zwischen Bildern, die inhaltlich nah genug sind, zusammenzubleiben, und unterschiedlich genug, um sie direkt aneinander zu schneiden. Es findet sich weder ein Rhythmus, der das Schwarz rechtfertigt, noch eine inhaltliche Logik. Da aber sehr oft der Interviewton weitergeht, weiterhin einem Gedanken folgt, unterbrechen diese Momente auf unangenehme Weise das Zuhören, das Begreifen des Erzählten, und das ist wirklich sehr schade.

 

 

 

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Maskerade

 

Anders als bei manchen Festivals, wo pingeligst darauf geachtet wurde, dass alle im Saal Masken nicht nur tragen, sondern auch korrekt tragen, scheint das in Graz eher unter optional zu laufen. Trotzdem, die meisten Zuschauer tragen Maske.

Was bislang gar nicht kontrolliert wurde, sind irgendwelche G-Nachweise.
Mag aber daran liegen, dass in jedem Bundesland die Regeln anders sind.

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