#Diagonale 2022 Die Preise

 

 

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Das war DIE 25.Diagonale

 

 

Das war sie also, die Jubiläumsausgabe der Diagonale.
Die Kinos waren voll wie in vorpandemischen Zeiten und auf den Caféterrassen trafen sich Filmschaffende und Zuschauer.
Wie oft gab es etwas mehr lange Dokumentarfilme(20) als lange Spielfilme(18).
Es wurden weiterhin mehr Filme von Regisseuren gezeigt (oder gedreht?) als von Regisseurinnen, etwas mehr Regisseurinnen bei den Dokumentarfilmen.
Dafür waren die Jurys überwiegend von Frauen besetzt.
Dennoch, es bleibt die Frage: Wo sind die ganzen Regisseurinnen?

 

Die Preise

 

Zumindest eine Regisseurin findet sich bei den Gewinnern.
Sabine Derflinger gewinnt verdient den Grossen Diagonale Preis Dokumentarfilm für Alice Schwarzer.

Der Grosser Preis Spielfilm geht an Rimini von Ulrich Seidl, der Film gewinnt auch für das beste Kostümbild, der Preis geht an Tanja Hausner.

Sowohl der Preis für die beste Kamera, Crystel Fournier, als auch für die beste künstlerische Montage,Joana Scrinzi, gibt es für den Spielfilm Grosse Freiheit. Beide, Fourniers Kamera und Scrinzis Schnitt tragen ganz wesentlich diesen tollen Film. Mehr zu Grosse Freiheit hier.

Dass Für die Vielen – Die Arbeiterkammer Wien den Preis für die beste künstlerische Montage gewinnt, erschliesst sich nicht wirklich. Nicht weil etwas an Dieter Pichlers Leistung auszusetzen ist, aber der Film bleibt eine zweistündige Werbung, egal wie ordentlich geschnitten er ist.

Der Publikumspreis geht an Andrina Mračnikar für ihren Film Verschwinden / Izginjanje. Auch ohne den Film gesehen zu haben, es ist immer wieder eine schöne Überraschung, dass Festivalpublikum oft einem (politischen) Dokumentarfilm seinen Preis zuspricht.

Alle Preise gibt es auf der Seite des Festivals.

Rimini und Alice Schwarzer laufen demnächst im Kino an.

 

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Nächstes Jahr also wieder in Graz, vielleicht braucht es dann auch keine Masken mehr, und vielleicht herrscht dann auch kein Krieg mehr in Europa.

#Diagonale 2022 Halbzeit

 

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Popcorn

 

Das Multiplexkino Annenhof ist dieses Jahr wieder gleichzeitig als Festivalkino und als „Popcornkino“ in Gebrauch. So treffen verschiedenste Kinofans im Foyer aufeinander, und nicht nur die regulären Besucher tragen riesige Popcorntüten vor sich her. Diese Tüten, respektive ihr Inhalt, scheinen eine der besten Lösungen dazustellen, die Maskenpflicht im Saal zu umgehen, auch wenn es eigentlich heisst: um zu essen/trinken kann die Maske kurz abgenommen werden.
Aber wer definiert kurz?

 

Geduld

 

Geduld ist wohl für alle Dokumentarfilmer essenziell, Fridolin Schönwiese hat für seinen Film It works II davon eine Extraportion gebraucht.
24 Jahre nachdem er in einem Kurzfilm 4 behinderte Kinder portraitiert hat, hat er drei von ihnen wieder getroffen, um mit ihnen diesen Langfilm zu machen.
Aus den Kindern sind Erwachsene geworden, mit eigenen Leben, selbstbestimmt, und keineswegs bereit sich „mal eben“ drehen zu lassen.
So hat die Produktion dieses Films 6 Jahre in Anspruch genommen.
Das Ergebnis ist jede Geduldsprobe wert.
Hervorzuheben ist die tolle Bildgestaltung, mit Bildern, die häufig extrem nah sind, ohne zu belästigen. Für Vieles, das in den Protagonisten vorgeht, braucht es eine visuelle Übersetzung, die den Protagonisten und ihren Eigenheiten und Reflexionen gerecht wird und nicht einfach 1:1 eine beliebige Situation abfilmt. Und immer wurden Bilder gefunden,
all das greift fabelhaft ineinander und unterstützt die Geschichte. Auch als Zuschauer braucht man allerdings den Mut, sich einen langen und auch langsamen Film anzuschauen, genau zu schauen, genau hinzuhören. Die Belohnung bleibt nicht aus. Man sieht einen Film, der ohne Pathos nahe geht.

 

 

Fleiss

 

Kunst ist harte Arbeit, egal ob hinter der Kamera oder auf der Bühne.
Just be there von Caspar Pfaundler zeigt das deutlich. Zwei Tanzkompanien, eine in Wien, eine in Taiwan, werden bei ihren Proben gedreht. Lange Einstellungen dominieren, die Kamera oft ganz sanft beweglich, geduldig schauend, aber fast immer auf Abstand von den Probenden. Während in Wien zwei Tänzer ein klassisches Stück proben, ist die Gruppe in Taiwan dem Contemporary Ballet zuzurechnen. Unterschiede, die sich in den Proben nach kurzer Zeit deutlich zeigen. In Wien begreift man den Aspekt der Probe als harte Vorarbeit für den Auftritt in der Staatsoper, während in Taiwan die Proben mehr wie hartes, sportliches Training aussehen. Was gleich bleibt, die Härte, der die Körper ausgesetzt sind, die Suche nach Perfektion, die Wiederholungen. Tanz und Ballett abseits des Glamours und der Show, ein schönes Stück Filmarbeit. Und zumindest bewegungsfreudige Menschen fangen nach kurzer Zeit an, sich mitbewegen zu wollen.

 

Bilder von Caspar Pfaundler
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Melodram

 

Die erste Vorstellung, bei der Zuschauer Wartemarken brauchen, und der grosse Saal total ausverkauft ist: die Uraufführung von Märzgrund von Adrian Goiginger.

 

 

Der Film ist ein Paradebeispiel dafür, dass, selbst wenn viele Einzelteile super sind, das Gesamtresultat dem nicht unbedingt folgt.
Die Geschichte vom jugendlichen Tiroler Bauernsohn, der nicht will, was sein Vater, seine Umgebung von ihm erwarten. Zu sensibel, zu anders, zu fremd fühlt er sich. Das alles ist sehr gut gespielt, von allen Darstellern. Die Berglandschaft, in die er erst verbannt wird, und in die er sich dann 40 Jahre lang freiwillig verzieht, allein mit sich und der Natur, ist toll anzuschauen. Aber der immer wieder bemühte Reflex, Emotionen vor Bergpanorama mit geigenschwerer Musik zuzuschütten, ist schauderhaft.
Auf Basis eines Theaterstücks von Felix Mitterer bleibt der Film aber ein kitschiges Alpenmelodram.

 

Johannes Krisch vor dem Kino
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Frauengeschichte

 

Auch zur Uraufführung von Sabine Derflingers Film Alice Schwarzer drängeln sich mehr Menschen, als im Saal Platz finden, das ist für einen Dokumentarfilm, der um 21 Uhr an einem lauen Abend läuft, wirklich eindrucksvoll.
Ihr Portrait der streitbaren, sprachgewandten und manchmal umstrittenen Alice Schwarzer ist extrem genau recherchiert. Als Journalistin und Vorkämpferin der Frauenbewegung gibt es massenhaft spannendes Archivmaterial, das immer in Beziehung gestellt wird zu Gesprächen mit Schwarzer heute und mit einer ganzen Reihe früherer Weggefährtinnen und Weggefährten. Es entsteht ein sehr dichtes – privates und öffentliches – Bild einer Frau, die wie wenige sonst so viele Jahre prägend in der Frauenbewegung war und immer noch ist. Wer mit ihr aufgewachsen ist, sieht ein Stück der eigenen Geschichte auf der Leinwand, und wer sie nicht kennt, hat hier die Chance sich ein Bild zu machen.
Eine sehr starke Arbeit, die 136 Minuten lang interessant bleibt.

 

 

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