#FilmTipp Amsel im Brombeerstrauch

 

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VOm Festival ins Kino

 

Für alle, die sich fragen, wann denn meine bei Festivals gesehenen und besprochenen Filme regulär in die Kinos kommen, ist die Antwort: Jetzt.
Der wunderbare Blackbird Blackbird Blackberry von Elene Naveriani kommt in Originalversion, aber unter dem deutschen Titel Amsel im Brombeerstrauch, ins Kino. Am 2. Mai ist Premiere in Anwesenheit von Elene Naveriani.

 

Späte Liebe

 

Wie bei Naverianis letztem Film Wet Sand spielen auch hier Farben und Bildausschnitte eine zentrale Rolle, und begeistern und verzaubern jenseits der wunderbaren Geschichte.

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Ein kleines Dorf, irgendwo in Georgien, die Zeit ist daran vorbeigegangen, ein kleiner Laden für Seifen und Waschmittel, eine Frau, fast fünfzig, alleinstehend, zufrieden. Etero (toll: Eka Chavleishvili )
ist selbst dann mit sich und der Welt im Reinen, wenn sie von ihren Freundinnen übel verspottet wird. Unerwartet, und ganz schön spät im Leben, platzt die erste – körperliche – Liebe in ihr Leben, Gefühle, die sie so nicht kennt und über die sie auch nicht sprechen kann und mag. Jede Einstellung in diesem Film möchte man als Postkarte oder als Poster an die Wand hängen. Naveriani gestaltet ihre Szenen wie Gemälde, wählt Farben und Ausschnitte, jedes kleinste Detail gehört zur Inszenierung, kein Zufall, keine unnötige Bewegung. Die Farben der Orte spiegeln die Gefühle der Protagonistin wider. So dominieren in ihrem Zuhause warme Erdtöne wie bei niederländischen Meistern, bei den Dorffrauen sind es eher helle Töne, die nie ganz zusammenpassen. Das lesbische Paar in der nächsten Stadt wiederum ist in leuchtendes Pastell gehüllt, passend zur liebevollen Atmosphäre, die dort herrscht und mit der Etero dort empfangen wird. Der Film lässt offen, ob man am Anfang des Films bereits das Ende vorhersieht, oder ob das nur eine mögliche Vision von Etero ist; man kann also wahlweise traurig oder eher beschwingt den Saal verlassen. Beglückt ist man auf jeden Fall.

 

 

Mittlerweile hat der Film einige Filmpreise gewonnen:
Schweizer Filmpreis 2024:  „Bester Spielfilm“, „Bester Schnitt“ und „Bestes Drehbuch“. Sarajevo Film Festival 2023: Heart Of Sarajevo für den besten Spielfilm und an Eka Chavleishvili für die beste schauspielerische Leistung.

Der Film läuft in Wien im Stadtkino

 

59.Solothurner Filmtage Heimat

 

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Farbspiele

 

Bei eisiger Kälte geht es morgens zur Früh-Vorstellung. Der Saal ist selbst um 9:15 sehr gut gefüllt. Die Belohnung fürs frühe Aufstehen lässt nicht auf sich warten.

Blackbird Blackbird Blackberry von Elene Naveriani ist so weit der schönste Film im Programm. Zu schade, dass er nicht in der Auswahl zum Hauptpreis steht.
Wie bei Naverianis letztem Film Wet Sand spielen auch hier Farben und Bildausschnitte eine zentrale Rolle, und begeistern und verzaubern jenseits der wunderbaren Geschichte. Ein kleines Dorf, irgendwo in Georgien, die Zeit ist daran vorbeigegangen, ein kleiner Laden für Seifen und Waschmittel, eine Frau, fast fünfzig, alleinstehend, zufrieden. Etero ist selbst dann mit sich und der Welt im Reinen, wenn sie von ihren Freundinnen übel verspottet wird. Unerwartet, und ganz schön spät im Leben, platzt die erste Liebe in ihr Leben, Gefühle, die sie so nicht kennt und über die sie auch nicht sprechen kann und mag. Jede Einstellung in diesem Film möchte man als Postkarte oder als Poster an die Wand hängen. Naveriani gestaltet ihre Szenen wie Gemälde, wählt Farben und Ausschnitte, jedes kleinste Detail gehört zur Inszenierung, kein Zufall, keine unnötige Bewegung. Die Farben der Orte spiegeln die Gefühle der Protagonistin wider. So dominieren in ihrem Zuhause warme Erdtöne wie bei niederländischen Meistern, bei den Dorffrauen sind es eher helle Töne, die nie ganz zusammenpassen. Das lesbische Paar in der nächsten Stadt wiederum ist in leuchtendes Pastell gehüllt wird, passend zur liebevollen Atmosphäre, die dort herrscht und mit der Etero dort empfangen wird. Der Film lässt offen, ob man am Anfang des Films bereits das Ende vorhersieht, oder ob das nur eine mögliche Vision von Etero ist; man kann also wahlweise traurig oder eher beschwingt den Saal verlassen. Beglückt ist man auf jeden Fall.

 

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Klamauk

 

Wer behauptet, dass Schweizer keinen Humor haben, oder nicht über sich lachen können, sollte Bon Schuur Ticino von Peter Luisi sehen. Der Film war im vorgegangen Jahr einer der erfolgreichsten in der Schweiz. Dabei veralbert er einige der „heiligen Kühe“ der Schweiz: die direkte Demokratie und die Viersprachigkeit. Eine Volksabstimmung bringt scheinbar den Willen zutage, dass in der Schweiz nur noch eine Sprache, und zwar Französisch, gesprochen werden soll. Besonders im Tessin wehrt sich die Bevölkerung dagegen, es formiert sich Widerstand, die Grenzen zum Rest der Schweiz werden geschlossen, ein Bürgerkrieg droht. Aber ein Polizist aus der Deutschschweiz, sein merkwürdiger welscher Kollege und eine Tessiner Wirtin decken in letzter Minuten die Geschichte auf. Es gab viel Gelächter und Szenenapplaus im restlos vollen Saal. Allerdings ist das ein Film, der es wohl eher nicht über die nahen Grenzen schaffen wird, zu viele Sprachen, zu viele Interna. Aber sehr lustig.

 

Heimat? – Heimaten?

 

Gibt es einen Plural zu Heimat, fragt der Regisseur am Anfang einen seiner Protagonisten. In Echte Schweizer versucht Luka Popadić diese und andere Fragen zu klären. Selbst stellt er sich im Film vor als: serbischer Regisseur und Schweizer Hauptmann. Und damit ist das Thema etabliert: Schweizer, deren Eltern als Gastarbeiter oder als Flüchtlinge in die Schweiz kamen, die in der Schweizer Armee nicht nur die Rekrutenschule gemacht haben, sondern auch Offiziere sind. Sie haben serbischen, tamilischen, tunesischen familiären Hintergrund, aber sie sind eben auch Schweizer, mit allem, was für sie dazu gehört, und das ist auch die Landesverteidigung. Der Film zeigt sie zu Hause und in ihrer Eigenschaft als Offiziere, lässt sie über die Ambivalenz ihrer Herkunft und ihrer Heimat sinnieren. Und darüber, dass die Schweiz wohl trotzdem noch nicht so weit ist, etwa einen muslimischen General oder Bundesrat zu bestellen.
Sie sind echte Schweizer, auch wenn man ihnen das ohne Uniform manchmal abspricht.
Es wäre spannend gewesen, auch bei diesem „Heimatfilm“ die Reaktion des Publikums mitzubekommen, aber der Saal war restlos voll, daher blieb nur das Sichten am Computer, fern jeder Reaktion.

 

 

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Leichtigkeit

 

Zum Abschluss des Tages, noch ein Film mit einer Frau, die mit sich im Reinen ist, und sich gegen ihre Umgebung behauptet. Le vent qui siffle dans les grues von Jeanne Waltz ist die Geschichte von zwei Familien und der scheinbaren Unvereinbarkeit ihrer Lebenswelten. Eine Liebesgeschichte, der soziale und ethnische Unterschiede im Weg zu stehen scheinen. Aber hauptsächlich ist es die Geschichte von Milenie, die ein bisschen verrückt, ein bisschen wortkarg, ein wenig anders ist, aber die mit ungebremster Lebensfreude alle Hürden und alle Gemeinheiten seitens ihrer Familie einfach überspringt, als wäre nichts im Weg gewesen. Sie ist dabei entwaffnend ehrlich, selbstlos und arglos. Der Film, macht trotz einiger böser Wendungen die Leichtigkeit und Sorglosigkeit der jungen Frau spürbar, setzt sie in Bilder um und ist einfach schön.

 

 

57.Solothurner Filmtage Preise

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Durften wir das?

War es jetzt eine gute Idee, die Solothurner Filmtage in Präsenz zu veranstalten? Vermutlich ja.
Es war schön eine ganze Woche Filme mit anderen Menschen in Kinos zu sehen, die Regisseure und Regisseurinnen zu sehen und zu hören, Applaus, kollektives Lachen oder Aufstöhnen zu teilen. Es war aber auch, nach zwei Jahren, in denen wir ständig ermahnt wurden, uns von anderen fernzuhalten, sehr gewöhnungsbedürftig, Schulter an Schulter mit fremden Menschen zusammenzusitzen.

Ist es gut gegangen?
Vermutlich.
Genau
wird sich das wahrscheinlich erst noch zeigen.
Die Stimmung insgesamt war auf jeden Fall gut, trotz Masken, trotz Testnachweis.

 

 

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Die Preise

 

Den Hauptpreis, den Prix de Soleure gewann Wet Sand von Elene Naveriani.
Das ist eine wirklich gute Wahl, der Film hat eine gute Geschichte, tolle Bilder und vermittelte eine schwebende Stimmung.

Den Preis für den besten Erstlingsfilm gab es für Pas de deux von Elie Aufseesser.
Auch das geht so weit in Ordnung, die manchmal noch etwas ungelenke Form darf bei einem ersten Langfilm durchaus sein.

Der Publikumspreis geht an Presque von Bernard Campan und Alexandre Jollien, den ich leider nicht gesehen habe.

 

 

 

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Nächstes Jahr im Januar also die 58. Solothurner Filmtage, und, man wird wohl träumen dürfen, dann hoffentlich massnahmenfrei. 

#Locarno Halbzeit

 

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Lebensweisen

Film kann bilden, bietet Blicke über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus. Im Idealfall entsteht eine Beziehung zu den Protagonisten und ihrer fremden Welt.

Bukolika von Karol Palka ist so ein Idealfall. Mit grosser Feinfühligkeit portraitiert er zwei Frauen, die abgeschieden im ländlichen Polen leben. 6 Monate herantasten und 3 Jahre Drehzeit, Dokumentarfilmer brauchen Geduld, es kann sich aber auszahlen. Mutter und Tochter leben in einem winzigen Haus, ein Zimmer, eine Küche, nichts weiter. Die Bilder im Inneren des Hauses erinnern an Stillleben alter holländischer Maler, Abstufungen von Schwarz, Details zeigen sich nur langsam, oft ist das einfallende Licht durch das kleine Fenster die einzige Lichtquelle, bildet Lichtstreifen, die nur einen Ausschnitt beleuchten. Kein Kommentar, kein Werten, keine Erklärung. Die Frauen können alles zwischen 30 und 80 sein, Spannungen zwischen Mutter und Tochter entladen sich kurz und heftig, um dann wieder einer ländlichen Ruhe und Gleichmut zu weichen. An manchen Stellen des Films setzt kontrapunktisch schwere, laute, basslastige Musik ein, ein Widerspruch zur Szene, der dem Film eine weitere Dimension hinzufügt.

 

Maskeraden

 

Maskerade
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An sich gilt in allen Kinos Maskenpflicht, heisst: Masken über Mund und Nase ziehen und dort lassen. Erstaunlich, wieviele Menschen das nach so langer Zeit immer noch nicht ganz schaffen. Aber die freundlichen, hilfsbereiten und aufmerksamen Saalhelfer leisten bereitwillig Aufklärung und erinnern an den korrekten Sitz der (nervigen) Masken.

 

 

Kurzfilme – Träume

Ein weiteres, durchgängig phantastisches Kurzfilmprogramm.

Der Dokumentarfilm Happyness is a journey von Ivete Lucas und Patrick Bresnan zeigt eine Nacht lang die Arbeit amerikanischer Zeitungsausträger. Als Einpersonen-Unternehmer sind sie auf sich allein gestellt, auch wenn es darum geht, den wirtschaftlichen Fall abzufedern. Spannend an dem Film ist die Machart. Es wird durchgängig in Splitscreen gearbeitet, was einerseits die Möglichkeiten bietet, mehr Bilder von Situationen zu zeigen, was aber auch einen starken Einfluss auf die Zeitwahrnehmung hat. Über den Film als Ganzes gibt es eine zeitliche Kontinuität, am Anfang steht das Packen und Abholen der Zeitungen, dann das Austragen bis zum Nachhausekommen. Innerhalb der Sequenzen ermöglicht die Bildteilung allerdings eine Verschiebung der Zeit, da Handlungen und Situationen nicht parallel und nicht konsekutiv ablaufen. Der Effekt ist verblüffend und man bekommt den Eindruck einer Universalität des Moments.

In Atrapaluz von Kim Torres schafft sich ein einsames Teenagermädchen ein Cyborg-Alterego. Die Geschichte ist still und gefühlvoll, auch ein wenig verwirrend, wie das Leben Jugendlicher, wenn man selbst nicht mehr dazu gehört.

Cavales von Juliette Riccaboni ist eine Geschwistergeschichte und eine Geschichte von Träumen und deren Einfluss auf das reale Leben. Die Geschwister werden weitgehend von ihrer Mutter sich selbst überlassen, wodurch eine besonders starke Verbindung der beiden besteht. Dem grossen Bruder erscheinen in Träumen die Gewinnerpferde von Pferderennen, er setzt, er gewinnt, und ist der Held seiner kleinen Schwester. Bis die Mutter mit einem Liebhaber auftaucht, der nächste Traum ist verwirrend und zeigt weniger das Siegerpferd, als die Gefahr, in der sich die Schwester befindet.

Der Animationsfilm Mr.Pete and the iron horse von Kilian Vilim nutzt den Stil früher Mickeymouse Filme, um, fast gänzlich in Schwarz, Rot und Weiss gehalten, einen Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung zu zeichnen. Extrem beeindruckend gestaltet, die Stilelemente alter Animationsfilme bis hin zur Musik perfekt nutzend, und schafft dabei trotzdem Eigenes.

Somleng reatrey von Chanrado SOK und Kongkea VANN überzeugt vor allem durch die sehr schöne Kameraarbeit. Ein mobiler Nudelverkäufer im nächtlichen Kambodscha. Neonlicht, Strassenlaternen, eine Gaslampe am Wagen, daraus entstehen Bilder, die für sich eine ganz starke emotionale Sprache sprechen. Aber auch hier sind Träume und Wünsche das Thema. Was will der Sohn, der mit beim Verkauf hilft, aus seinem Leben machen? Was ist mit den Hoffnungen für die Tochter, die sich im Nachtleben verliert?

 

Pause auf der Wiese
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Selbstfindung

 

Die Stärke von Actual People von Kit Zauhar ist gleichzeitig seine Schwäche. Gedreht wie ein beiläufig entstandener Dokumentarfilm, bei dem die Kamera einfängt, was sie eben kann in Situationen, in denen Menschen reden, feiern, streiten. Das führt dazu, dass man hauptsächlich hektischen Dialogen folgt, Studentinnen, die Stress an der Uni haben oder Liebeskummer, Partys planen, saufen bis nichts mehr geht. Oft bleibt die Kamera in einer Einstellung, oder bewegt sich situativ mit den Figuren. Wege zum Selbst, laut Katalog, auch für die Regisseurin/Hauptdarstellerin. Anfangs ist das furchtbar anstrengend, mit der Zeit wird es etwas besser, aber es bleibt ein eher geschwätziger Film.

 

Experimenteller Spass

Statt eines japanischen Animationfilms auf der Piazza Grande, ein experimeteller Riesenspass.
 The case of the vanishing Gods von Ross Lipman ist uneingeschränkt witzig und intelligent gemacht. Eine Bauchrednerpuppe kommt zu einem Psychiater (ebenfalls eine Marionette), weil sie von Albträumen gequält wird und nicht weiss, wer sie ist. Daraus entspinnt sich ein wahnwitziger Reigen. Die Ursprünge des Bauchredens kommen ebenso vor, wie sämtliche denkbaren Variationen von Bauchrednerei und die – meist – bösen Puppen in der Kinogeschichte. Das alles ist geschickt und gekonnt zusammengefügt, 71 Minuten Kinovergnügen.

 

 

Die Hard auf isländisch

 

 

Von allen Seiten schön, Piazza Grande
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Der Tag fängt gut an. Sonnenschein und dann um 9 am Morgen die beste Persiflage auf alle Bad Ass und Hard boiled Action-Thriller überhaupt!

Hey, wir haben das Jahr 2021, kein Schwein kümmert sowas mehr!“ Die Antwort des einen Superbullen an den anderen Superbullen, der ihm gerade, mitten in der ersten Phase des Showdowns, seine Liebe gestanden hat. Aber von Anfang:
Leynilögga  (Cop Secret) von Hannes Þór Halldórsson ist ein spannender Thriller, mit absolut allen genreüblichen Elementen: dem harten, saufenden Bullen im Angeberauto, der nie nach den Regeln spielt, die extrem bösen Verbrechern, die immer einen Schritt voraus sind, Verfolgungsjagden, Schiessereien, Politiker, die Angst um ihren Ruf haben, korrupte Polizisten, einfach alles! Aber der Film ist eben auch eine Persiflage und zeitgemäss politisch korrekt, aber mit sehr viel Humor. Dennoch, der Thriller wird durchgehalten und funktioniert, Showdown, parallel an vier Schauplätzen, am Ende inklusive. Aber alles ist immer ein bisschen neben dem, was man gemeinhin für normal hält im Genre. Genderfragen werden ebenso nebenbei verhandelt, wie sexuelle Orientierung, und das marode isländische Finanzwesen. Das Ergebnis braucht sich vor vergleichbaren Filmen nicht zu verstecken.

Einige Filme der Auswahl tragen den aktuellen Diskussionen und Sichtweisen Rechnung, ob das am neuen Team um Nazzaro liegt, oder ob einfach langsam mehr Filme existieren, die bei aller Genretreue mehr dem Zeitgeist entsprechen, muss sich weisen.

Kurzfilme – vielleicht sexy

Das Schönste in Fou de Bassan von Yann Gonzalez ist die sanft Sommerhitze suggerierende Saxophonmusik (Aymard Caillol, Antonin Roux). Dazu, in Blau getauchte, sehr gepflegte Bilder von SM und Lederlesben. Treffpunkt? Strassenstrich? Alles möglich, nicht wichtig, mit 4 Minuten gerade kurz genug, dass es keine Rolle spielt.

Criatura von María Silvia Esteve, noch einmal Frauenliebe, diesmal traurig, verloren, mit vielen bedeutungsschweren Bildern und Off-Texten. Eine Aufarbeitung womöglich.

Initiationsriten im U-Bahnschacht: The life underground von Loïc Hobi. Um dazuzugehören muss ein Junge, wie die anderen vor ihm, direkt vor der heranfahrenden U-Bahn über die Gleise springen. Aber will er überhaupt dazu gehören? Gehören die Machospiele und Sprüche überhaupt zu ihm? Oder will er nur seinem Kumpel gefallen?

FIRST TIME [The Time for All but Sunset – VIOLET] von Nicolaas Schmidt. Der Film schickt eine Cola-Werbung aus den 80er Jahren vorneweg, dann geht das Leinwandformat wieder auseinander: Hamburger U-Bahnstationen von aussen, interessante Einblicke in zum Teil scheussliche Architektur. Danach ca. 40 Minuten in einer statischen Einstellung in der Hamburger U-Bahn, ein junger Mann fährt und fährt, und fährt im Kreis, dazwischen trinkt einmal er, einmal sein Sitznachbar Cola. Ist das Satire oder die längste Werbung überhaupt?

 

 

Projektionskabine
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Hauptsache Liebe

Ein weiterer Film, der sich mit homosexueller Liebe beschäftigt, ist die georgisch-schweizer Koproduktion Wet Sand von Elene Naveriani. In einem kleinen Dorf am schwarzen Meer erhängt sich ein älterer Mann, die Nachbarn sind neugierig, tratschen und einige scheinen den Mann nie gerne in ihrer Mitte gehabt zu haben. Der Barbesitzer Amnon erklärt sich bereit, die Enkelin des Verstorbenen zu benachrichtigen, als diese aus Tiflis anreist, zeigt sich die ganze Dimension der Heuchelei im Ort. Männer, die ihre Frauen prügeln, spielen sich zu Sittenwächtern auf, als es um die Homosexualität des Mannes geht, und auch die Enkelin gerät schnell in ein schlechtes Licht. Die Geschichte entwickelt sich zwar langsam, wie im Rhythmus der Wellen, die vor der Bar auf den Strand laufen, ist deshalb aber nicht weniger eindrücklich. Ein in sehr schönen Bildern erzähltes Drama vom Anderssein in einer Gegend, wo das bis heute nicht akzeptiert wird.

Free Guy von Shawn Levy läuft am Abend auf der Piazza Grande, auch hier: Anderssein und Liebe. Eine Nebenfigur oder Statist in einem Computerspiel entwickelt ein Eigenleben, und verliebt sich in den Avatar einer der Entwicklerinnen. Ein bisschen ist es die Geschichte von den Geistern, die man ruft, oder eben programmiert, ein wenig auch ein Aufruf zur Selbstermächtigung, egal wie sehr man in einer Nebenrolle zu stecken scheint, und natürlich ist es auch eine Liebessromanze. Viel Action, viel Computeranimation, laut, bunt, albern, aber auch sehr witzig und kurzweilig und leicht genug für die einsetztende Hitzewelle.