#Diagonale: Der Schluss

 

Mit Sack und Pack ins Kino
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Mit Sack und Pack ins Kino

 

Ein letzter Film noch, bevor es wieder zurückgeht, die Wahl fällt auf Der schönste Tag von Fabian Eder.
Der Saal füllt sich, die Plätze nicht ausgeschöpft, aber doch nicht so schlecht, für einen Dokumentarfilm, um 10 Uhr am Sonntagmorgen.
Ein Film, in dem, in weiten Teilen, Menschen reden, also Talkingheads, sie reden zum Thema Holocaust. Trotzdem ist das einer der besten Filme, die dieses Jahr zu sehen waren. Zum einen, weil der Film sich und dem Zuschauer Zeit lässt, zum anderen, weil eine der zentralen Ideen darin besteht, jeden Zeitzeugen mit einem jungen Menschen – meistens deren Enkel – in ein Zugabteil zu setzen, und das dort entstehende Gespräch mit sechs Kameras zu drehen. In Ruhe, mit viel Sensibilität. Ein privater Dialog, zwischen Menschen, die einander kennen und vertrauen.
Parallel zu diesen intergenerationalen Gesprächen geht es um die, seit 2013 im Umbau befindliche, Ausstellung in der KZ Gedenkstelle in Auschwitz, zur Rolle Österreichs während des Dritten Reichs. Auch hier: sprechende Menschen. Sie tun das eloquent, ruhig, und ohne filmischen Schnickschnack.
Dazwischen immer wieder vor allem: Zeit und sehr, sehr gute Bilder.
Selten ist ein so komplexes Thema, so ruhig, sensibel und, über 112 Minuten, spannend dargebracht worden. Dieser Film ist einfach toll.

Hinter den Kulissen ist es auch spannend

Es hat sich auch gelohnt, zur Diskussion nach dem Film zu bleiben, denn da lüftet sich das Geheimnis, um die Bilder im Zug: Das Abteil ist zum Drehen nachgebaut worden, während der Gespräche lief „live“ dazu der bewegte Hintergrund, wodurch eine absolut glaubwürdige Zugfahrtillusion entstand.
In den Film kamen, von den 23 gedrehten Dialogpaaren letztlich nur 4, die anderen werden als jeweils einzelne Gespräche gezeigt werden, im Fernsehen oder auch in Schulen.
Eine besondere Freude: der Film gewann den Publikumspreis der Diagonale.
Was wieder zeigt, man kann, man darf und muss dem Kinopublikum etwas zumuten.

 

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Die Preise 2021

Den Grossen Diagonale Preis/Spielfilm gewann Evi Romen für Hochwald.
Der Grosse Diagonale Preis/ Dokumentarfilm geht an Tizza Covi und Rainer Frimmel für Aufzeichnungen aus der Unterwelt

Die beiden Preise für die beste künstlerische Montage gehen an:
Karina Ressler und Joana Scrinzi für Fuchs im Bau
und an Yves Deschamps und Hubert Sauper für den Schnitt des Dokumentrafilms Epicentro.

Die Preise für die beste Bildgestaltung gehen an zwei Filme, die ich nicht gesehen habe.
Für die beste künstlerische Bildgestaltung/Dokumentarfilm geht der Preis an:
Jordane Chouzenoux für Wenn es Liebe wäre.

Für die beste künstlerische Bildgestaltung/Spielfilm  an Ludwig Wüst, für seinen Film 3.30PM.
Auch ohne den Film gesehen zu haben, mutet diese Entscheidung etwas seltsam an, da im Katalogtext folgendes zur Kamera/Bildgestaltung zu lesen ist:

Durch eine niedrigauflösende Bodycam, die einem der Darsteller an die Brust geheftet ist, „schafft sich der Regisseur während der Dreharbeiten ab“, wie Wüst es selbst bezeichnet.

Das mag als künstlerisches Mittel toll, oder spektakulär oder einfach nur originell sein, und der Preis heisst ja auch „für beste Bildgestaltung“ statt „Beste Kamera(arbeit)“, aber schöner wäre es schon, wenn den Preis auch Kameraleute bekämen.
Aber, wie so vieles, vielleicht ist auch das wieder nur geschmäcklerisch.

Alle Preise auf der Seite der Diagonale

 

Das war’s aus Graz, die Diagonale 2021 ist vorbei, vieles war anders als gewohnt, aber die Stimmung war gut und entspannt. Und es war eine so grosse Freude, endlich wieder ins Kino gehen zu können.
Die Diagonale 2022 wird vom 5. bis 10. April stattfinden.

Wie gemalt, Licht in Graz
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#Diagonale: Perspektiven

 

Schubertkino
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Die letzte Reihe

 

Ein ganzer Tag fast ohne Kino, der der persönlichen Virenbekämpfung gewidmet war. Am Abend ist dann doch noch ein Kinobesuch möglich. Durch die automatische Platzvergabe bei der Onlinebuchung entstehen völlig neue Perspektiven in Kinosälen, so sieht der kleine Schubert 2 Kinosaal aus der letzten Reihe fast gross aus, allerdings erscheint die Leinwand dann doch eher winzig. Und, wer hätte das gewusst, in der letzten Reihe gibt es Doppelsitzbänke: Knutschkinositze!
Auch der Film des Abends war nicht wirklich geplant, sondern den Reservierungsmöglichkeiten geschuldet.

 

Rhythmusgefühl

 

Man muss Thomas Antonic dankbar sein, dass er mit One More Step West Is the Sea: ruth weiss, die Künstlerin und Beatpoetin Ruth Weiss auf die Leinwand bringt, was er dann allerdings aus dem Material dieser grossartigen Frau macht, ist deprimierend. Zwischen 2017 und 2019 dreht er in Kalifornien Interviews, Lesungen, begleitet die 1928 geborene Dichterin. Man sieht eine aktive, frech blitzende alte Dame, die eloquent über Dichtung, Film und Rhythmus spricht. Man hört alte und neue, von Jazz begleitete, Lesungen, alles höchst strukturiert, die Bilder dazu sind es aber nicht. Sie beziehen sich in keiner Form auf den Sprachrhythmus, weder in dem sie ihm folgen, noch indem sie ihm widersprechen – was auch eine Möglichkeit wäre. An vielen Stellen kleben Interviews viel zu nah an Sequenzen mit Lesungen, man stolpert als Zuschauer, kann weder das eine geniessen, noch dem anderen wirklich zuhören. Immer wieder gibt es Verlegenheitsüberblendungen, an Stellen, an denen man ganz entspannt hätte hart schneiden können. Oder es werden Photos von Zeitgenossen der Protagonistin als Bildüberlagerung eingeblendet, aber so kurz, dass man fast keine Zeit hat, zu sehen, wer da im Bild aufflackert. Das alles ist jammerschade! Die Bilder und die Poetin hätten einen besseren Schnitt verdient.

Kurzfilme … ein Versprechen

 

Am Morgen gleich ein Kurzspielfilmprogramm, vier Filme, die alle Menschen am Rand der Gesellschaft zum Thema haben.
Ein Jugendlicher, der gerne Teil der lokalen Gang wäre, von der er aber nie so wirklich ernst genommen wird, egal was er für sie tut.
Dominik Galleya und Clemens Niel zeigen diese Geschichte in tauchen, mit viel Empathie aber auch mit einer Portion absurdem Humor.
Gegen Ende surreal ist Liebe, Pflicht & Hoffnung von Maximilian Conway. Eine Supermarktangestellte, die erst ihren Job verliert, der man den Strom abschaltet, der die Räumung droht, und immer bleibt in ihr ein Schimmer Hoffnung, egal wie fest und schnell die Schläge gegen sie geführt werden.
In FABIU von Stefan Langthaler stellt sich ein alter Mann seinen – unterdrückten – Gefühlen, als er statt einer weiblichen Pflegerin für seine Frau einen jungen Mann aus Ungarn als 24-Stunde Pflege bekommt. Sehr schön gedreht, mit vielen extrem nahen Bildern.
In Fidibus von Klara von Veegh irrt eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn durch die Kälte. Ist sie obdachlos, oder läuft sie weg? Der Film spielt mit traumartigen Sequenzen, die lange offen lassen, was wirklich passiert ist.
Von allen Regisseuren und Regisseurinnen möchte man gerne mehr sehen.

 

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Reihe eins ist ganz hinten

 

 

Luxussitze ganz Hinten
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Das Onlineticket weist aus: Reihe eins, das klingt nicht so toll, aber in der vordersten Reihe angekommen stellt sich heraus, in diesem Kino wird von hinten nach vorne gezählt. Also, auf nach ganz oben, wo vornehme (Kunst)Ledersessel mit extra breiten Armlehen zum fläzen einladen. Auch das ist ein neuer Blickwinkel. Aber recht voll werden die Säle weiterhin nicht, und das liegt nicht an der verminderten Platzzahl, denn die erlaubten Plätze sind nicht alle besetzt.

 

Dazugehören

 

Hochwald von Evi Romen ist relativ gut besucht, aber dieser tolle Film braucht viel mehr Publikum.
Mario gehört irgendwie nirgends richtig dazu, in seinem Bergdorf nicht, in der Stadt nicht, zu anders scheint er zu sein, aber wer er genau ist, das zeigt er auch keinem. Sein bester Freund scheint es besser getroffen zu haben, er kommt aus der reicheren Familie, hat ein Begabtenstipendium bekommen und lebt auch seine Homosexualität unbekümmert aus. Eine Tragödie wirft Mario dann völlig aus der Bahn. Aber es ist nicht die starke Geschichte, die so beeindruckt, sondern die Machart, wie sie visuell umgesetzt ist. Die Figuren haben Raum zu spielen, weil sie nicht in einem Korsett aus Schnitt/Gegenschnitt gefangen sind. Der Schnitt ist rasant, lässt Sprünge zu und bleibt trotzdem absolut im Fluss und der Geschichte treu. Wirklich sehenswert.

Das kann man über Risiken und Nebenwirkungen von Michael Kreihsl nicht sagen.
Szenen zweier Ehen, in denen es darum zu gehen scheint, ob man(n) seiner Partnerin eine Niere spendet. Als sich der eigene Mann ziert, willigt der Mann der anderen ein, zu spenden, was wiederum Streit zwischen allen auslöst. Am Ende geht es eigentlich bloss um simple eheliche Untreue. Der Film basiert auf einem (Boulevard)Theaterstück, aber jede Pointe, jedes Tempo fehlt, zudem spielen drei der vier Hauptdarsteller in jeder Szenen so, als würden sie am Ende des Dialogs in schallendes Gelächter ausbrechen. Dabei ist es egal, ob da gerade Ernstes verhandelt wird oder gestritten wird, Gestik und Mimik sind hoffnungslos überzogen. Auch die Wendungen am Schluss funktionieren in dieser lahmen Konstellation nicht wie Pointen, sondern höchstens wie ein müder Witz.

 

Diagonale Festivalzentrum
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Albträume und Masken

Einmal quer durch Graz zum letzten Film des Tages. Die Hinweisschilder, wo es in den jeweiligen Saal geht, sind nicht immer ganz eindeutig, was dazu führt, dass man auch einfach verträumt vor einer Tür wartet, die sich nicht öffnen wird. Zum Glück klärt sich der Fehler rechtzeitig.

Es wäre sehr schade gewesen, 2551.01 von Norbert Pfaffenbichler zu versäumen. Ein furioser Stummfilm, der eine apokalyptische Unterwelt zeigt, in der sich jede Menge gruseliger Kreaturen mit schauderhaften Masken prügeln, verfolgen, terrorisieren, dazwischen eine affenartig maskierte Figur, die ein vermummtes Kind rettet. Versatzstücke ikonischer Bilder aus Filmen, aus Nachrichten oder von Pressephotos blitzen kurz auf, werden aufgenommen, bilden den Anfang einer Variante. Albträume werden wahr, bewegen sich, lösen sich auf, um gleich im nächsten Raum einen weiteren Albtraum lebendig werden zu lassen. Ein völlig irrer, wunderbarer Film, mit kluger Dramaturgie, sparsamen, aber tollen Toneffekten und einer treibenden Musik.

Die Abende sind lau, die Sperrstunde ist nach hinten verlängert, und so sieht man in und vor Lokalen oder auf Plätzen deutlich mehr Menschen als in den Kinos der Stadt, wirtschaftlich wird diese Diagonale vermutlich nicht so gut abschneiden.

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