#Locarno77 Zum Schluss

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Trauern und Traditionen

Locarno bereitet sich vor, auf die Preise, auf den letzten Abend auf der Piazza Grande und auf das Gewitter, das für den Abend angekündigt ist.

Kasachische Filme sieht man wirklich selten in Europa, dafür fanden sich dieses Jahr gleich zwei in den Wettbewerbsprogrammen. Joqtau von Aruan Anartay ist ein Spielfilm in Dokumentarfilm-Ästhetik gehüllt. Tatsächlich ist man erst mit dem Abspann sicher, dass es ein Spielfilm war, davor lässt der Film Zweifel zu.
Dem Patriarchen einer kasachisch-nomadischen Familie geht es nicht gut, also reist sein Enkel mit Freundin aus Russland an. Nomadische und islamische Traditionen, die beiden fremd sind, machen die Reise zu einem Abenteuer. Die Geschichte wird in nicht chronologischen, nicht linearen Bögen erzählt. Eine letzte Fahrt des Grossvaters mit Enkel und Freundin ins Herkunftsdorf werden mit Photos der Fahrt und mit Vorbereitungen für das Begräbnis gemischt. Dazu, einem akustischen Tagebuch gleich, Off-Refelxionen der Freundin und des Enkels. Nicht uninteressant.

 

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Litauen räumt ab

Litauen hat zwei Filme im Programm und beide werden mit reichlich Preisen ausgezeichnet.
Der Pardo d’Oro, Hauptpreis des Festivals, ebenso wie der Pardo Swatch First Feature Award gehen an Saulė Bliuvaitė für Akiplėša (Toxic). Dazu kommen noch der Preis der Ökumänischen Jury und der zweite Preis der Jugend-Jury.

Seses von Laurynas Bareiša gewinnt den Pardo für die beste Regie und das gesamte Darstellerteam den Schauspiel-Pardo.

Der MUBI Award – Debut Feature, also ein weiterer Preis für Erstlingsfilme, geht an:
Green Line von Sylvie Ballyot, und auch hier ein Preis der Jugend-Jury.

 

 

Saulė Bliuvaitė (li)
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Österreich und Georgien mit zahlreichen Preisen


Mond von Kurdwin Ayub erhält den Spezialpreis der Jury, sowie auch den Preis von Euroimages und der Jugend-Jury.
Der Pardo d’Oro im Concorso Cineasti del Presente geht an Holy  Electricity von Tato Kotetishvili und auch dieser Film wurde von der Jugend-Jury bedacht.

Beste aufstrebende Regisseurin in dieser Sektion: Denise Fernandes für HanamiI.

Der Pardo Verde geht an: Agora von Ala Eddine Slim.

 

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Vielleicht keine Premiere, aber selten genug, dass ich alle Preisträgerfilme gesehen habe. Auch nicht einmalig, aber auch selten, finde ich alle Preise nachvollziehbar, gerechtfertigt und lassen den Glauben an die Qualitäten von Festival-Jurys wachsen.
Besonders schön und spannend sind immer die Preise der Jugend-Jurys, die jedes Jahr wieder mit enormem filmischen Wissen und Gefühl für gute Geschichten auffallen.
Gewonnen haben, fast durch die Bank, Filme mit (sozial)politischen Themen und alle haben eine spezielle, originelle filmische Handschrift und Herangehensweise an ihre Themen gezeigt.
Alle Preise auf der Festivalseite.

 

 

 

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Es bleibt schön

 

Das, was am Morgen noch drohende Gewitterwolken waren, hat sich in der Hitze des Nachmittags in niedliche Abendwölkchens verwandelt. Es wird wohl auch an diesem Abend auf der Piazza trocken bleiben.

Der Abschlussabend verläuft etwas anders als sonst, Jury-Präsidentin Jessica Hausner hat kurz die Bühne, übergibt vor dem grossen Publikum nochmal den Goldenen Leoparden an Saulė Bliuvaitė.
Der Publikumspreis der Piazza Grande wird noch bekannt gegeben, er geht an Reinas von Klaudia Reynicke.

 

Giona A. Nazzaro
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Giona A. Nazzaro spricht noch einmal mit viel Emotion von der grossen Liebe zum Kino, zum Kino als Mittel des Miteinanders. Es hat etwas Schwermütiges, wie er das sagt. Von der neuen Festival-Präsidentin Maja Hoffmann ist nichts mehr zu sehen oder zu hören.
Der letzte Abendfilm der 77. Ausgabe des Festivals kann beginnen.

 

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Hund

Eine Dramödie möchte man Le Procès du chien von Laetitia Dosch nennen. Der Film, nach einer wahren Begebenheit, erzählt vom Prozess gegen einen Hund, der mehrmals zugebissen hat. Jetzt drohen dem Halter eine hohe Geldstrafe und dem Hund der Tod. Eine etwas chaotische Anwältin verteidigt den Hund, indem sie über ihn zunächst nicht als Sache, sondern als Entität verhandeln lässt. Ihr gegenüber, die Verteidigerin der Gebissenen, eine karrieregeile, geifernde Anwältin, auf dem Sprung in die Lokalpolitik. Der Film hat sehr witzige Momente, nervende Passagen, weil sowohl das Chaotische als auch das Geifernde auf die Dauer zu viel werden. Und der Film ist auch berührend, einfach, weil der Hund so toll ist, und man ahnt, dass das alles nicht wirklich gut ausgehen kann.

Das Festival ist zu Ende, bleibt die Hoffnung, dass möglichst viele der Filme ihren Weg in Kinos finden, nicht nur in ihren Herkunftsländern. Weil, ja, Filme verbinden, Filme öffnen die Sicht auf Anderes, und Filme bereichern.
Locarno 78 startet am 6. August 2025

 

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#Locarno77 Erinnern

 

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Beiläufig

 

In Mond von Kurdwin Ayub bekommt eine ehemalige MMA–Kämpferin ein Jobangebot in Jordanien, sie soll dort die Töchter einer reichen Familie trainieren. Der Job scheint eine gute Chance zu sein, ihr etwas ramponiertes Ego wieder aufzupolieren. Aber recht schnell zeigt sich, dass der Job nicht so einfach ist. Die Mädchen sind teilweise bockig-unwillig und hängen lieber den ganzen Tag vor dem Fernseher. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, irgendetwas scheint verkehrt zu laufen in dem palastartigen Haus.
Den Mädchen ist fast alles, was Teenager heute so machen, verboten: WLAN im Haus, Handy ausserhalb des Hauses, Kommunikation, alles Fehlanzeige.
Und wer ist die vierte Schwester?
Die Idee ist eigentlich sehr gut und spannend, scheitert aber daran, dass alle Figuren seltsam unbeteiligt und losgelöst sind. Die Trainerin will zwar wissen, was los ist, aber so recht glauben mag man ihr das nicht. Sie taumelt mit stets gleichem neutralen Gesichtsausdruck durch die Szenen, selbst als es zu einem kurzem, aber heftigem Schockmoment kommt. Die Schwestern wirken, selbst wenn sie sich aufregen, wie aufgezogen und die Security-Männer wirken wie hohle Hüllen.
Als eine der Schwestern die Trainerin bittet, ihnen zu helfen zu fliehen, erledigt sie alles mit unverändert stoischem Blick. Sämtliche Handlungen – der Schwestern, der Trainerin – bleiben völlig ohne Konsequenzen. Das nimmt dem Film sehr viel Empathiepotenzial und Glaubwürdigkeit.

 

 

Sex und Familie

 

Mother Is a Natural Sinner von Boris Hadžija und Hoda Taheri ist der dritte Kurzfilm des Regie-Paares, und wieder eine – scheinbar – sehr persönliche Geschichte, die drastisch-geradlinig erzählt wird.
Der Film fängt mit einer medizinischen Kamerafahrt aus der Scheide heraus an, um dann von der Vulva aussen in die Totale beim Gynäkologen zu fahren. Möglicherweise war das eine der angekündigten „Triggerwarnungen“ für sensible Gemüter. Danach hat das Paar eine ziemlich schräge Unterhaltung über Sex und sexuelle Vorlieben und Praktiken, während sie in aller Ruhe Gemüse putzen und ein Hühnchen zerlegen. Der Kontrast ist tatsächlich ziemlich lustig, mehr allerdings auch nicht.

Maman danse von Mégane Brügger ist inhaltlich härter. Die Erinnerungen von Mutter und Tochter an eine Zeit des Missbrauchs und der Gewalt. Familienphotos, das ehemalige Wohnhaus, Fragen, Antworten, der Versuch, die Erinnerung des Kindes ins Heute der Regisseurin zu bringen. Auch wohl um damit abzuschliessen.

Ein spielsüchtiger Vater und seiner kleiner Sohn sind die Protagonisten in Punter von Jason Adam Maselle. Eine kleine, tragisch-traurige Geschichte von Verrat. Der Junge kauft für den Vater von seinem Ersparten eine Geburtstagstorte, die aber möglichst schnell in den Kühlschrank sollte. Der Vater hat allerdings andere Pläne: nur eine einzige Pferdewette, versprochen. Versprechen gebrochen!

In The Cavalry von Alina Orlov ist eine politische Erinnerung an das Jahr, in dem die israelische Regierung den Zaun zum Westjordanland gebaut hat, Ausgangspunkt für eine experimentelle Auseinandersetzung mit Aspekten der israelischen Politik. Am Beispiel der Kavalerie-Truppe im Verlauf der Jahrzehnte bis heute mischt die Regisseurin reale Bilder mit computermodifizierten Aufnahmen. Sie verfremdet und bringt damit Details einander näher. Nicht uninteressant.

Chou He Zhuang von Hao Zhou spielt mit der Thematik der Selbstkritik in China. Homosexualität, Bespitzelung, nicht erfüllbare Erwartungen und dazwischen: Lautsprecherdurchsagen, die Selbstkritik als Massnahme zur inneren Harmonie predigen. Sehr schräg, relativ explizit.

 

 

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Kinderblick

 

Kada je zazvonio telefon (Als das Telephon klingelte) von Iva Radivojević ist ein Mosaik an Erinnerungen, geformt aus dem Blick eines 11-jährigen Mädchens, dessen Welt dabei ist, sich radikal zu verändern.
Als das Telephon klingelt, 1992, an einem Freitag um 10:36, besteht Jugoslawien (gerade) noch. In Schleifen, Loopings, Assoziationen und dem immer wiederkehrenden Motiv des klingelnden Telephons entsteht die Welt der kleinen Lana. Der Anruf fungiert als Drehpunkt, um den und von dem aus die Bilder rein und raus fliessen können. Das kindliche Erinnern an Freunde, Spiele, Situationen, kurz vor einer Flucht, kurz vor dem Ende des bekannten Lebens. Fragmentiert, nicht chronologisch, aber immer sehr intim. Der Film hat kaum Dialoge, dafür eine Off-Erzählstimme, die kurz die Situationen skizziert, sich aber auch den kindlichen Bögen unterwirft.

 

 

Pasta statt Piazza

Es mag ein Fehler sein, oder ein Zeichen von Kultur-Ignoranz, aber 150 Minuten Filme auf unbequemen Stühlen, nachdem vorher noch Ehrenpreise verteilt wurden, nein, das ist zu viel.
Also, statt auf der Piazza den nepalesischen Film anzuschauen, essen gehen und dann einen litauischen Film aus dem internationalen Wettbewerb sehen.

 

Schwestern

Laurynas Bareiša wählt für Seses einen Erzählstil mit Unterbrechungen und Wiederholungen. Eine Art Parallelmontage von einem Vorher und einem Nachher, Cliffhanger inklusive. Das ist ganz kurz etwas verwirrend, aber dann eigentlich ein sehr schöner Kunstgriff. Zwei Schwestern, ihre Männer und je ein Kind fahren gemeinsam in ein Ferienhaus an einem See, die Stimmung ist relativ gelöst, kleine Reibereien und Angebereien mal ausgenommen. Der erste Strang endet, als eines der Kinder nach einem Sprung in den See nicht mehr auftaucht. Im zweiten Strang versteht man recht bald, dass der Mann einer der Schwestern nicht mehr am Leben ist. Danach wechseln sich die Sequenzen ab, und Stück für Stück erlebt man, was vorher geschah und was heute daraus geworden ist. Ein Film bei dem man trotz Spannung ganz in Ruhe schauen, folgen und verstehen kann.

 

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Auf dem Rückweg, vorbei an der Piazza, wo der nepalesische Film in vollem Gange ist, schöne Bilder hat er auf jeden Fall.

#Diagonale 2022 Eröffnung

 

 

Graz trägt Streifen
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Graz trägt wieder Streifen

 

 

Zum 25. Mal findet ab heute die Diagonale in Graz statt.
Das sind 25 Jahre österreichisches Filmschaffen, das in dieser Zeit, auch international, gewachsen ist.
Nach einem Jahr Ausfall und einem Jahr, in dem sie verschoben wurde, findet die Diagonale also dieses Jahr wieder wie gehabt kurz vor Ostern statt.
Eine knappe Woche lang treffen sich Filmschaffende im freundlichen Graz, es wird gezeigt und geschaut, vorgestellt, verglichen oder einfach nur der Film gefeiert.

 

 

Eröffnung

 

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Wie in den Vorjahren findet die Eröffnung in der grossen Helmut-List-Halle statt, natürlich mit allen aktuellen Pandemiemassnahmen, also 3G und Maske während der Veranstaltung.
Der Saal ist dafür voll, also wirklich richtig voll.

 

 

 

Mit etwas Verspätung beginnt dann ein langer Abend.
Peter Schernhuber, nach überstandener Corona Erkrankung wieder an der Seite seines Mit-Intendanten Sebastian Höglinger, und wieder in geübter und bewährter Doppelconference.
Sie sind politisch, ohne dabei zu dozieren, ein gar nicht so einfaches Unterfangen angesichts der vielen Krisen, Kriege und Katastrophen, die derzeit herrschen.
Sie fordern (Film)Kunst, die politisch, aber ohne Propaganda sein soll,
Filme (und Kunst), die Türen, oder auch Augen, öffnen, und Neues zeigen, eventuell auch neue Wege.

 

 

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Neues österreichisches Kino

 

Mit Sonne, dem Spielfilmdebüt von Kurdwin Ayub, eröffnet eine Regisseurin, die für das ganz neue österreichische Filmschaffen steht.
Neu und dann auch wieder nicht, denn die Geschichte handelt vom Erwachsenwerden, von Zugehörigkeit und Identität, von Eifersüchteleien zwischen Freundinnen, zwischen Geschwistern und Reibereien mit den Eltern.
Neu ist dabei die unbekümmerte Frechheit, mit der Ayub sowohl Bildstile als auch Erzählstränge behandelt.
Visuell wechselt der Film zwischen den Handyvideos der Jugendlichen – hochkant, querformatig, verwackelt oder gefiltert – und einer ebenfalls oft unruhigen, aber präzise beobachtenden Kamera. Man braucht einen Moment, um sich in die Bilderwelt einzufinden, dann aber ist das schon reizvoll.
Das Nervöse, das dabei entsteht, spiegelt die wechselnden Emotionen und Krisen der Protagonisten wider. Wenn der Film Stereotype nutzt, dann nur, um sie gleich darauf in etwas Unerwartetes, eben nicht stereotypisches, umzulenken.
Der Film bietet weder einfache noch belehrende Lösungen, er lässt offen, wie die Geschichte, die Identitätssuche, das Erwachsenwerden sich entwickeln werden.
Wirft der Film die Zuschauer am Anfang gleich mitten rein ins pralle Teenager-Filmleben, schmeisst er das Publikum am Ende auch einfach wieder raus, aus dieser Welt.
Das ist schön so.

 

Feste feiern

 

Nach einem langen Eröffnungsabend dann die Eröffnungsparty, mit Getränken und steierischen Spezialitäten und: vielen Menschen auf einen Haufen.
Das bleibt weiterhin extrem gewöhnungsbedürftig.

 

Auch Nachts gestreift
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