#Visions du Réel – Bequem

 

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Die Qual der (Aus)Wahl

 

 

Weiter geht’s im Programm von Nyon.
Kategorie auswählen, Vorschaubildchen anschauen, anklicken, Kurzbeschreibung lesen, verwerfen oder auswählen.
Einfache Sache.
Soweit war die intuitive Auswahl erfolgreich und erfreulich.

 

 

Gefahren

 

Was macht ein Filmemacher während eines Lockdowns?
Er filmt natürlich.
Daniel Kemény filmt während des langen ersten Lockdowns in Italien sich und seine Freundin. Entstanden ist daraus: Supertempo. Er verwandelt die Monotonie in etwas auch Lustiges, lässt aber Platz für Nachdenkliches. Wie eine Liebe das Eingesperrtsein überlebt, ist dabei ebenso Thema wie Langeweile und leere römische Strassen. Daraus entsteht das präzise Bild einer absurden Situation, die ihre tragischen wie auch komischen Momente hat.

Aus der Erde und zurück unter die Erde: Burial (Kapinynas) von Emilija Škarnulytė. Ein Film über die vielfältigen Nutzungen von, und Problemen mit, Uran.
Verwaiste Uranminen, ein litauisches Atomkraftwerk im Rückbau, ein mögliches Endlager für Atommüll in Frankreich, alles in unglaublich schönen, künstlerischen Bildern. Ein fliessender Schnitt, eine Tonspur, in der Geräusche, Töne, Atmos und Musik ein Gewebe bilden, das die Kraft der Bilder noch mal anhebt. Und dann, immer wieder, eine grosse Schlange, die Über-Metapher der Verführung, des Bösen. Eine Stunde Film, die zum Denken und Träumen verführt.

 

 

 

 

Erwachsenwerden

 

Ramboy von Matthias Joulaud & Lucien Roux ist ein ganz klassischer, ruhiger Dokumentarfilm. Irland im Sommer, grün und grau und Schafe, mittendrin der junge Cian, der über den Sommer auf der Schaffarm seines Grossavater das Handwerk lernen soll. Anfangs folgt nicht mal der Hütehund seinen Kommandos. Bockig, versteht man schnell, sind nicht nur die Schafe, sondern auch der Enkel. In sehr schönen, ruhigen Bildern läuft der Sommer ab, und der Enkel lernt, sehr zur Freude des Grossvaters.
Alles andere als klassisch ist How to Save a Dead Friend von Marusya Syroechkovskaya gestaltet. Mit 16 lernt die depressive Teenagerin Marusya den gleich alten Kimi kennen; zwei Seelenverwandte.
16 Jahre lang filmt sie, filmen sie sich. Es entsteht ein impressionistisches Tagebuch voller Liebe, Depression, Drogen und Selbstzerstörung. Die Beobachtung ist nicht gradlinig in der Zeit montiert, sondern geht vor und zurück, und zeigt damit auch das Auf und Ab der Gefühlswelt der beiden Jugendlichen. Dazwischen immer wieder Szenen von Strassenkonfrontationen russischer Jugendlicher mit der Polizei, und die jährliche Neujahrsansprache des Präsidenten, in immer pathetischeren Worten. Die persönlichen Probleme haben ihre Entsprechung, wenn nicht Teile ihrer Ursache, im System, das die beiden umgibt. Und obwohl ab einem Punkt die Regisseurin sich aus dem Kreislauf der Selbstzerstörung herausnimmt, bleibt sie mit Kimi verbunden, auch wenn sie ihn letztlich nicht retten kann.

 

 

 

 

Bizarre Welten

 

Um Mikronationen geht es in Liberland von Isabella Rinaldi.
Liberland hat Botschaftsräume in Prag und einigen anderen europäischen Städten, gibt online Pässe aus, und hofft bald Fuss auf sein Territorium setzen zu können. Das allerdings ist nicht so einfach. Liberland liegt an der Donau, im Dreiländereck von Kroatien, Serbien und Ungarn. Das Grundstück wird von den kroatischen Behörden verwaltet, die auch den Zugang verbieten, es aber gleichzeitig für serbisches Land erachten.
Kompliziert? Ja.
Parallel versuchen die Liberland-Anhänger in der Gegend sichtbar zu bleiben, und machen per Videos im Netz auf sich aufmerksam. Eine weitere Gruppe ist an diplomatischen Beziehungen zur Mikronation höchst interessiert, nämlich die selbsternannten Mini-Jugoslawen. Sie sehen sich in direkter Nachfolge Jugoslawiens, verehren Tito und veranstalten zu dessen 42. Todestag eine Gedenkveranstaltung.
Seltsame Menschen, bizarre Ideen, ein unterhaltsamer Film.

 

Liberland (c) Isabella Rinaldi