#Visions du Réel – Frauen

 

(c) ch.dériaz

 

Aus der Wundertüte des Programms

 

 

Drei Filme über Frauen, ganz unterschiedlich, sowohl stilistisch als auch in den Protagonistinnen, dennoch, dreimal Frauen, die am Ende als stark aus dem Film hervortreten.

Der Persönlichste

 

Fuku Nashi von Julie Sando. Die Regisseurin und ihre japanische Grossmutter. Zwei Frauen, die sich nur langsam öffnen und annähern. Die Frage der eigenen Identität steht im Raum. Ist sie Japanerin, ist sie Schweizerin? Die Grossmutter beantwortet die Frage für die Enkelin anders, als die Enkelin selbst. Das Selbstverständnis ist ein anderes. Wie gehört man dazu, wenn man in Japan als „Halbe“ und in der Schweiz als „Exotin“ gesehen wird?
Die letztgültige Antwort steht wohl noch aus.

 

Fuku Nashi (c) Julie Sando

 

Der Härteste

 

Chaylla von Clara Teper & Paul Pirritano ist das Protokoll einer Befreiung.
Eine junge Mutter, die versucht, aus einer gewalttätigen Beziehung herauszufinden, aber oft an sich selber scheitert. Ihr selbst fehlt der Glaube, dass sie ein Leben ohne physische und psychische Gewalt haben darf. Sie glaubt nicht, dass es Gerechtigkeit gibt, wenn sie ihren Mann wegen Körperverletzung oder Stalking anzeigt. Und sie glaubt auch nicht daran, dass es Beziehungen gibt, die anders laufen, in denen Respekt herrscht. Und so hadert sie, geht zurück zu ihrem Mann, bekommt ein weiteres Kind, geht weg, klagt an und zweifelt. Am Schluss kommt so etwas wie Hoffnung auf, dass sie jetzt, wo sie nach Jahren auch Prozesse gegen ihn gewonnen hat, endlich frei von Angst und Gewalt wird leben können. Erstaunlich, neben der sehr bewegten Kamera, die immer recht direkt auch die Gefühle zeigt, dass die doch sehr verunsicherte Chaylla diese Nähe über einen langen Zeitraum so zugelassen hat. Das zeugt vom gossen Respekt der Filmemacher ihrer Protagonistin gegenüber.

 

Chaylla (c)Clara Teper & Paul Pirritano

 

 

Der Lustigste

 

In Ardente·x·s von Patrick Muroni geht es um Pornos.
Eine Gruppe junger Frauen in Lausanne, sie haben sich vorgenommen, ethische und dissidente Pornofilme zu machen, und dafür eine Pornofilmproduktion gegründet. Sie arbeiten im Kollektiv, was dann manchmal zu lustigen Problemen führt, wenn zum Beispiel ein Film, trotz guten Drehbuchs, nicht fertig gemacht werden kann, weil zwar mit mehreren Kameras gedreht wurde, aber keine für den Überblick zuständig war. Ergebnis: unschneidbar.
An manchen Stellen ist der Film etwas zu geschwätzig. Die jungen Frauen erzählen sich, in schöner Umgebung oder auch in interessanten Situation, Geschichten aus ihrem Leben, oder reden über ihre Gefühle, man wird aber den Eindruck nicht los, dass das alles nur für die Kamera gedacht ist. Hervorragend sind die Szenen bei den Pornodrehs gestaltet, die Schwierigkeiten, die sich ergeben, weil mehrere Kameras um die Darstellerinnen und Darsteller herumstehen, gehen und filmen, werden als ästhetisches Mittel genutzt und bringen so sehr spannende Bilder vom Set. Eine Jugendfreigabe dürfte der Film nicht bekommen.

 

Ardente·x·s (c)Patrick Muroni

 

 

Die Kurzen

 

Zwei Kurzfilme, die das Medium Film für Abstraktes und Philosophisches nutzen, und dabei eigenständige, schöne Werke entstehen lassen.
The Demands of Ordinary Devotion von Eva Giolo bietet Sinnliches und Rundes. Handwerk und Säuglinge, Milch abpumpen und Nuckeln, eine Bolex laden, aufziehen, drehen. Kreise und Kreisbewegungen in einer Schleife aus Assoziationen. Hübsch.

Sad Machines (Las máquinas tristes) von Paola Michaels erkundet die Seele der Maschine. Diverse laufende Roboter klagen ihr Leid, nicht am richtigen Ort zu sein, nicht dazuzugehören. Aus verschiedenen Firmenvideos zu Bewegungsabläufen der Maschinen zusammenmontiertes philosophisches Werk zur Identitätsfrage. Kurzweilig.

 

Besser im Kino

 

Dass Filme auf einer Leinwand im dunklen Kino besser wirken, ist hinlänglich klar.
Dass aber beim Schauen eines Films sowohl ein Gewitter mit Hagelsturm stören, als auch Handwerker, die Wände aufstemmen, ist dann doch irgendwie unfair.
So verliert H von Carlos Pardo Ros eindeutig an Kraft. Der Film arbeitet mit sehr bewegter Kamera, mit Tonkollagen und mit Stille. Die Idee ist, die Stunden vor einem tödlichen Unfall beim Stierlaufen in Pamplona 1969 experimentell zu rekonstruieren. Und so tanzt und taumelt die Kamera im Heute durch die feiernden Massen in Pamplona, man ist sehr unmittelbar im Geschehen, und versteht auch, wieso die Gruppe von Freunden damals nicht zusammen fand. Zu voll, zu viel, zu viel Bewegung und Feierwut. Aus einem dunklen Kinosaal käme man vermutlich selbst feiertrunken heraus.

 

H (c)Carlos Pardo Ros