Die Unvollendete, diesen schönen, musikalischen Titel haben die Diagonaleleiter Sebstian Höglinger und Peter Schernhuber ihrer abgesagten Ausgabe gegeben. Gleichzeitig haben sie jetzt tatsächlich einen kreativen Weg gefunden, zumindest einige der Filme fürs Publikum sichtbar zu machen.
Diagonale goes Online
Geplant war die diesjährige Ausgabe vom 24.3. bis 29.3. in diesem Zeitraum werden jetzt an verschiedenen Orten im Internet Diagonale-Filme gezeigt. FM4, das „Jugendkulturadio“ des ORF bietet auf seiner Webseite Livestreams an:
Am 24. März 3freunde2feinde von Sebastian Brauneis um 20:15 und um 23 Uhr. Am 25. März um 20:15 läuft an gleicher Stelle Robin’s Hood von Jasmin Baumgartner und am 26. März um 20:15 gibt es ein Kurzfilmfilmprogramm
Der wunderbare Dokumentarfilm Die Dohnal von Sabine Derflinger wird vom 27. März bis 3. April im KINO VOD CLUB gezeigt. Dort gibt es auch weitere, von Schernhuber und Höglinger kuratierte, aber ältere, Diagonale Filme zu sehen.
Kino zu Hause
Nichts davon kann ein Festival ersetzen, aber es gibt immerhin einen kleinen Einblick in das, was hätte sein können. Und auch das Livestreamen zu festgesetzter Uhrzeit vermittelt, ein klein wenig, Kinogefühl. Man kann sich also, allein oder mit den erlaubten Mitbewohnern, dem Getränk der Wahl, die Beine hochgelegt, vor einen ausreichend grossen Bildschirm setzen und – hoffentlich – geniessen. Und, wer weiss, vielleicht kann man ja auch zu Hause für ein bisschen Glamour sorgen.
Als die Absage der Diagonale in Graz bekannt gegeben wurde, waren die Kinos und Theater noch geöffnet, es bestand noch Hoffnung auf, wenn auch reduzierte, Möglichkeiten der Unterhaltung und des Kunstgenusses. Mittlerweile sind die Kinos und Theater geschlossen, das Leben spielt sich in Wohnungen ab und weitere Filmfestivals geben Absage oder zumindest Verschiebung bis auf Weiteres bekannt. Das schöne kleine Festival Film:schweiz in Berlin zum Beispiel oder Crossing Europe in Linz. Cannes verschiebt von Mitte Mai auf einen noch nicht festgelegten Termin. Die Verleihung des Schweizer Filmpreises findet ohne Zeremonie und ohne Publikum statt, aber immerhin, der Preis kann vergeben werden, findet doch die Abstimmung darüber ohnehin online statt. Die feierliche Übergabe der Preise soll während des Festivals in Locarno, also im August stattfinden.
Das Leben mit und für Kultur steht still
Das ist nicht nur traurig, es ist auch bedenklich für viele Kunstschaffende, die oft freiberuflich, selbständig oder sonst wie unabgesichert arbeiten. Dass das in Zeiten von Krisen – welcher Art auch immer – ein Problem sein würde, war schon immer klar. Das Ändern dieser Arbeitsverhältnisse stösst aber immer wieder auf Mauern. Im Fall von Film- und Fernsehschaffenden, auf Mauern der Ablehnung seitens Produzenten, Fernsehsendern, Verantwortlichen. Seit Jahrzehnten ist die immer wieder, mehr oder weniger offen genutzte, Antwort darauf: „dann macht es halt ein anderer“. Trotzdem haben die meisten von uns weiter ihre Jobs gemacht, aus Freude am Beruf, aus Liebe zum Produkt, aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Und jetzt, wo nichts mehr geht, wo niemand ins Kino kann, wo es langsam schwierig wird, Sendungen in gewohnter Qualität aufrecht zu halten, zeigt sich wie wenig diese Loyalität wertgeschätzt wurde und wird. Das ist deprimierend.
Die E-Mails zu diesem Thema häufen sich, die Berufsverbände arbeiten mit Hochdruck daran Regelungen, die nicht gesetzeskonform sind, zu verhindern, Unterstützung zu bieten. Das ist bitter nötig. Nicht nur, weil Kollegen, wie in vielen anderen Branchen auch, vor einem wirtschaftlichen Desaster stehen, sondern weil irgendwann ja auch wieder gearbeitet werden wird. Die jetzt abgesagten Drehs, stillstehenden Produktionen, geschlossenen Kinos, all das wird irgendwann wieder weiter gehen.
Unterhaltung
(c) ch.dériaz
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Wie wichtig Kunst und Kultur für alle sind, zeigt sich dafür jetzt besonders deutlich. Der Mensch will beschäftigt, will unterhalten werden. Lesen ist eine Möglichkeit, aber die meisten verbringen vermutlich genau jetzt die meiste Zeit damit, auf Bildschirme zu schauen. Fernsehen, wegen der Nachrichten, Mediatheken, Streamingdienste, all das dürfte zur Zeit Hochkonjunktur haben. All das wurde von Kollegen hergestellt, die jetzt nicht nur nichts tun können, sondern eben auch in Gefahr sind ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Die Filmbranche wird also genauso Unterstützung brauchen, wie Fluglinien oder Autohersteller.
Österreichische Kinos kann man derzeit unterstützen, in dem man hier Filme „on demand“ schaut. Ein Teil der, niedrigen, Leihgebühr geht an die Partnerkinos. Und hier können österreichische Filme digital ausgeliehen und angeschaut werden. Film,- Kunst,- und Kuturschaffende leben nicht in lässigem Saus und Braus. Nur weil sie Unterhaltung schaffen haben sie nicht automatisch ausschliesslich Spass bei der Arbeit, wie alle anderen auch. Aber sie sind diejenigen, die für die Unterhaltung und die gelungene Freizeitgestaltung aller sorgen.
Heute und morgen hätte eigentlich das Programm der Diagonale präsentiert werden sollen. Erst in Graz, dann in Wien. Es wären die Kataloge verteilt worden in hübschen Taschen mit den ikonischen Diagonale Streifen, es wäre – vermutlich – ein schönes grosses Brillen- oder Displayputztuch drin gewesen, eventuell ein paar steierische Kürbiskerne.
Die Festivalleiter Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger hätten kurz über die Filme gesprochen, sie hätten den Sponsoren gedankt und Lust gemacht auf den Start am 24. März.
Nichts davon findet nun statt.
Es wird also auch nicht der Bundespräsident Van der Bellen bei der Eröffnung sprechen, man wird auch nicht einschätzen können, wie die noch neue Regierung zur Filmkunst steht. Wäre die grüne Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek gekommen? Hätte sie sich unter die Filmschaffenden gemischt, ein offenes Ohr für deren Anliegen gehabt?
Nichts davon werden wir wissen.
Diese Absage, so verständlich sie auch ist, ist nicht nur ein wirtschaftlicher Verlust, sie ist auch ein grosses künstlerisches Problem. Einen Film in der Leistungsschau des heimischen, also österreichischen, Films laufen zu haben ist mehr als nur erfreulich. Es bietet die Möglichkeit gesehen zu werden, von Kritikern aus dem In-aber auch aus dem Ausland, es bietet die Möglichkeit mit zukünftigen Geldgebern in Kontakt zu treten, Werbung für sich und seine künstlerische Arbeit zu machen. Eine Arbeit für die es oft genug zu wenig Geld gibt, nicht nur aber auch gemessen an der oft langen Zeit, die es braucht, bis ein Film von der Idee auf die Leinwand kommt.
All das wird es dieses Jahr nicht geben.
Keine Show, kein Austausch, keine Preise, keine neuen Eindrücke vom aktuellen österreichischen Filmschaffen.
Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree macht sich in Born in Evin auf die Suche nach ihren Anfängen, stösst allerdings auf eine massive Mauer aus Schweigen. Zaree wurde im iranischen Gefängnis Evin geboren, ihre Eltern Gefangene des Khomeni Regimes.
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Von dieser Ausgangslage aus erzählt Zaree einerseits chronologisch von ihrer Ankunft als kleines Kind in Frankfurt, von ihrem Leben dort mit dem abwesenden Vater, der erst später Gefängnis und Iran verlassen wird, und flicht andererseits ihre Suche nach Antworten im Heute dazwischen.
Suche
Weiter als bis zu: „Du wurdest im Gefängnis geboren“ ist sie bisher nicht gekommen, mit über 30 also der Wunsch mehr zu wissen, und das auch filmisch festzuhalten. Wie in vielen Familien mit massiven Traumata ist aber das Schweigen und das Wir-haben-es-überlebt grösser als der Wille die traumatischen Erfahrungen zu teilen. So reist sie nach Paris zu Verwandten, zu Tagungen von Exiliranern, nach London, in die USA. In kleinen Schritten lernt sie mehr von den Zuständen in Evin kennen. Kleine Schnipsel an Erinnerungen, enthüllt von Frauen, die dort waren, Grausamkeit und Folter bahnen sich einen Weg an die Oberfläche, doch ihr persönliches Schicksal bleibt weiterhin diffus.
Verweigerung
Die Mutter verweigert sich, will, obwohl studierte Psychotherapeutin, nicht verstehen, warum diese Antworten wichtig für ihre Tochter sein sollen. Rückschläge und kleine Fortschritte, viel Schweigen und dann doch Menschen, die ihre Geschichte teilen wollen. Und langsam findet die Regisseurin zu einem, für sie akzeptablen Ergebnis der Suche: nicht die blanken Antworten sind wichtig, sondern die präzise und laut gestellten Fragen an die Mutter.
Bilder
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Born in Evin ist aber nicht nur wegen seines Themas interessant, sondern auch wegen seiner filmischen Machart. Trotz der vielen sehr privaten Momente bleibt die Kamera sachlich, ohne es dabei an Empathie mangeln zu lassen. Die Mischung von privaten Video Aufnahmen aus der Anfangszeit in Deutschland gemischt mit den vielen Momenten, in denen Zaree sucht, nachfragt, lästig ist oder einfach still verzweifelt, ergeben einen sehr dichten Film. Und sie findet auch immer wieder sehr schöne, stimmige symbolhafte Bilder, die den Prozess des Suchens und Findens verdeutlichen und weitertragen, aber auch, durch ihre Künstlichkeit, entspannend wirken. Und ganz nebenbei zeigt sich wie wichtig und universell das Thema der verdrängten Traumata ist. Der Film ist aktuell im Stadtkino in Wien zu sehen.