#FilmTipp Stillstand

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Da war doch was

 

Es ist noch gar nicht lange her, da stand die Welt, wie wir sie kennen, still.
Die Pandemie bestimmte den Tagesablauf, führte zu Situationen, zu Überlegungen, die bis dahin nicht für möglich gehalten worden waren.
Nikolaus Geyrhalters neuer Film Stillstand lässt diese fast zwei Jahre auf der Leinwand Revue passieren.
Und er macht das mit gewohnter Präzision, Geduld und grosser Schönheit.

 

Erinnern

 

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Jeder war dabei, jeder war betroffen, und doch erinnert man sich nur partiell an die Ereignisse. Manches ist immer noch sehr präsent, wie die leergefegte Wiener Innenstadt, die umherflitzenden Polizeiautos oder, etwas später, die vielen Menschen, die ihre Schnelltests zu Sammelbehältern bringen.

 

 

 

Geyrhalter lässt über diese knapp zwei Jahre Wienerinnen und Wiener zu Wort kommen. Die Auswahl der Protagonisten ergibt einen guten Überblick, jeder ist betroffen, aber nicht jeder auf die gleiche Art. Allen gemeinsam ist die Hoffnung, dass diese Extremsituation uns alle nicht nur zum Innehalten, sondern auch zum Überdenken und Umdenken führen wird.

 

Langsamkeit

 

Statt auf Bildermasse setzt Gayrhalter auf Langsamkeit, man kann jedes seiner tollen Bilder in Ruhe ansehen, ohne zu befürchten, dass einem gleich ein Detail entgehen wird. Er verzichtet auf Kommentar und auf Musik, lässt dafür durch Ruhe und Originalgeräusche die Erinnerung wieder aufstehen. Die Interviews sind persönlich, selbst die mit dem Wiener Gesundheitsstadtrat, keine Parolen oder Politphrasen. Und alle durchlaufen die gleichen emotionalen Phasen von Fassungslosigkeit über Hoffnung auf Erneuerung bis zu mittlerer Resignation.
Die Haltung des Films ist dennoch klar, wenn auch eher subtil. Zum Beispiel in der Positionierung von Situationen innerhalb des Films, man kann das als Zuschauer sehen, oder übersehen; Haltung nicht Belehrung.

 

Solidarität

 

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Wie viel von der Solidarität, die am Anfang der Pandemie herrschte, übrigbleiben kann, liegt an uns allen. Wir waren alle dabei, alle betroffen, und doch verschwimmt die Erinnerung langsam. Stillstand funktioniert wie ein Archiv des Erinnerns, und das macht der Film sehr gut und sehr schön.
Wer sich also erinnern möchte, kann den Film weiterhin im Stadtkino sehen.

 

 

 

#FilmTipp Matter Out of Place

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Der Müll und wir

 

 

Warum sollte man sich einen Film über Müll anschauen? Und dann auch noch im Kino?
Im Fall von Matter Out of place, ist ein Grund der Regisseur: Nikolaus Geyrhalter.
Tatsächlich ist es relativ egal, welches Thema Geyrhalter mit der Kamera anschaut, es kommt am Ende ein toller Film heraus.
Das ist auch bei seinem aktuellen Film, der letztes Jahr in Locarno den ersten Grünen Leoparden, für Filme, die thematisch der Umwelt dienen, gewonnen hat.

 

Schöne Wimmelbilder

 

Seine Filme werden beherrscht von langen, schön komponierten Totalen. Es passiert viel in diesen Bildern, und man hat immer die Zeit, sich alles genau anzuschauen, in sich aufzunehmen.
Egal, ob es die vielen Trucks sind, die sich den Berg hoch zur Mülldeponie schleppen, oder die Seilbahn, die den Müllwagen ins Tal befördert. Müllberge, verursacht von Menschen, beseitigt von einer Ameisengleichen Armee von Menschen. Keine Musik, kein Kommentar, nichts lenkt davon ab, für sich selber zu finden, was der Film zu sagen hat.
Und zu sagen hat dieser Film über unser aller Müll eine ganze Menge.
Die Verursacher dieser weltweiten Müllhalden sind wir, wir alle.

Aktuell läuft der Film in Wien im Stadtkino und im Gartenbaukino.

#FilmTipp EO

 

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Ein Esel auf Reisen

 

EO von Jerzy Skolimowski ist eine Art surreales Märchen, das jeder Zuschauer ein wenig anders sieht. Die Szenen sind eigentlich ausschliesslich durch die Anwesenheit des titelgebenden Esels verbunden. Der Rest, also die Reise, das Abenteuer, die Träume, findet durch Assoziation, durch Seherfahrung und Erwartung im Kopf der Zuschauer statt.
Skolimowski bedient das perfekt, in dem er ein wahres Paradebeispiel der Macht und Kraft der Bildmontage liefert.

Stetiges Vorwärts

Der Esel tut im Wesentlichen nichts anderes, als stetig vorwärtszugehen, seinem Schicksal entgegen, oder weniger dramatisch:
Er geht einfach seinen Lebensweg.
Die Emotionen, die scheinbaren Geschichten, alles entsteht aus der Spannung von Perspektiven, Blickwinkeln, Bildausschnitten und eben Erwartungen.
Besonders schön, vor allem am Anfang, ist die reduzierte, aber kraftvolle Musik und die überdeutlichen Geräusche, diese scheinen die akustische Perspektive der Eselsohren einzunehmen. Später im Film wird die Musik etwas sehr breit, und die Präsenz der Geräusche geht zurück, was beides ein bisschen schade ist.

Mit didaktischem Eifer sind die Menschen im Film ebenso zufälliger Hintergrund wie die Landschaft, dadurch reduziert sich das, was sie sagen, auch zu atmosphärischem Klang, es ist nicht wichtig, für den Esel nicht und für die Geschichte nicht. Es bleiben aufgeschnappte Momente.
Damit bleibt das, was der Zuschauer sich an Eselsabenteuer denkt, ganz im Vordergrund und dadurch macht der Film Spass, und bietet Raum für eigene Geschichten.

 

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Eine Botschaft

 

“Sicherheitshalber”  beginnt der Film mit einer kurzen Botschaft des Regisseurs, der die Botschaft seines Films schon mal vorab verkündet: Es geht um die Tiere.
Tatsächlich hätte man das wohl auch so verstanden, und dieser Anfang irritiert, vor allem durch seine extrem amateurhafte Anmutung.

Was der Film neben den sehr schönen Bildern und dem tollen Schnitt bietet, ist insofern wertvoll, als man ohne dramatischen Höhepunkt, ohne Schreck- und Schockmomente einfach im langsam trabenden Rhythmus des Esels schauen und frei assoziieren kann. Das ist selten genug.
Nach dem Film möchte man eigentlich dringend eine weiche Eselsnase streicheln gehen.

 

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Der Film läuft in Wien weiterhin in folgenden Kinos:
Stadtkino, Village-Cinema, Votiv Kino

 

 

 

 

#FilmTipp Ninjababy

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Gefühlsvielfalt

 

Was tun, wenn man plötzlich erfährt, dass man seit sechseinhalb Monaten schwanger ist?
Das ist die Ausgangslage im norwegischen Film Ninjababy von Yngvild Sve Flikke.

Rakel, die Schwangere, ist chaotisch, liebenswert, versoffen, und hat gerne Sex, all das passt so überhaupt nicht mit Mutterschaft zusammen. Dass sie eigentlich auch zunächst nicht genau weiss, wer der mögliche Mann zum werdenden Kind ist, hilft natürlich auch nicht weiter.
Und so ist für sie auch völlig klar: Das Kind muss weg.
Hier wäre schon viel Platz, um mit widersprüchlichen Gefühlen und Möglichkeiten zu hadern, zu kämpfen, zu räsonieren.

Zeichen an der Wand

Ninjababy fügt dem aber noch die Animation hinzu. Das Ungeborene, das sich so lange gar nicht manifestiert hat, wird plötzlich sehr vorlaut und erscheint Rakel in Form des titelgebenden Ninjababys. Mal meckert es von der Zimmerwand, mal vom Schreibtisch runter, es quängelt und will diskutieren, es will mitbestimmen.
Kurz, es ist das personifizierte Gefühlschaos. Dazu kommen zu Anfang noch recht schräge Erinnerungsfetzen und Zukunftvisionen, die ins Film-Jetzt hineinkrachen, aber leider irgendwann verloren gehen.

Kitschklippen

Die Geschichte schwankt immer wieder verdächtig nah an Kitschklippen heran, spielt mit den bekannten, erwartbaren 08/15 Standardlösungen, nur um diese im letzten Moment zu umfahren. Man atmet auf.
Die Figur Rakel muss nicht gerettet werden, weder vom netten Aikidolehrer, noch vom gruseligen One-Night-Stand, der für das Kind mitverantwortlich ist.
Das macht den Film angenehm.
Dazu kommen die sehr guten Darsteller, die alle, anders als in vergleichbare amerikanischen Filmen, weder als Modell noch als Leistungssportler durchgehen würden, sie sind einfach junge Erwachsene, die irgendwie aussehen. Auch das ist dem Film hoch anzurechnen. Dass er insgesamt weniger schräg ist, als der Trailer vermuten lässt, liegt auch an der subjektiven Erwartung.

Insgesamt ein freundlicher Film, der zwischen Spass und Ernst eine angenehme Balance findet und der es zulässt, Mutterschaft nicht als das höchste Glück zu feiern.

Zurzeit noch in folgenden Kinos zu sehen:
Stadtkino oder Votivkino

 

#FilmTipp COW

 

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Mittendrin in der Herde

 

Die Welt trudelt gerade Richtung Abgrund, warum also sollte man sich einen Dokumentarfilm über das harte Arbeitsleben einer Milchkuh anschauen?

94 Minuten lang befindet sich der Zuschauer in Andrea Arnolds Dokumentarfilm Cow  mitten in einer Herde britischer Milchkühen – ohne erklärenden Kommentar, ohne emotionalisierende Musik, einfach nur die Kühe.

 

Geburt

 

Gleich in der ersten Szene gebiert die Kuh, der man von nun an als Person folgen wird, ein Kalb. Das ist, wie fast alle Geburten, berührend. Allerdings wird sie, die Kuh mit der 29 auf dem Hintern, noch bevor die Nachgeburt draussen ist, schon zum Melken geführt. Soviel zu sanfter Geburt und frühkindlicher Bindung.

 

Kamera

 

Die ganz grosse Stärke des Films ist die Kameraführung von Magda Kowalczyk.
Sie ist fast ständig auf Augenhöhe der Tiere, leicht und beweglich und immer mitten im Geschehen, sodass man sich schnell als Teil der Herde fühlt.
Diese Nähe und Direktheit macht den Arbeitsalltag greifbar und zeigt auf unmittelbare und erschreckende Art, wie Ausbeutung für unsere menschliche Lebensweise funktioniert. Und dabei sind die Kühe in diesem Betrieb wahrscheinlich noch relativ gut dran. Sie haben Bewegung, sie dürfen auf Weiden, sie werden zu Klängen von Popmusik gemolken.
Trotzdem ist schnell klar, sie sind nichts anderes als Arbeitssklaven, ausgebeutet und weggeworfen, wenn sie nicht mehr rentabel sind.

 

Feuerwerk

 

Eine einzige Szene dämpft kurz die Freude über diesen starken Film: Wenn in dem Moment, wo der Stier „unsere“ Kuh besteigt, auf ein Feuerwerk geschnitten wird. Das ist im besten Fall albern. Aber hauptsächlich komplett unnötig und es zerstört für einen Moment den Fluss und die Perspektive.
Am Schluss des Films fragt man sich schon, ob ein Leben als Veganer nicht vielleicht doch eine gute Idee wäre.

 

 

Pardokuh schaut Cow
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Der Film läuft zurzeit in Wien noch im Stadtkino.

Wer keine Lust auf Kühe hat, dem sei im Stadtkino Aheds Knie ans Herz gelegt.

 

Marko Feingold – Ein jüdisches Leben

           

           #FilmTipp    

 

Marko Feingold -ein jüdisches Leben
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Marko, Der Erzähler

Marko Feingold (1913-2019) war ein Erzähler, charismatisch, charmant, witzig, eloquent. Wer ihn live erlebt hat, weiss das, aber auch wer ihn „nur“ in diversen Filmen oder Zeitzeugenbeiträgen gesehen hat.
In Marko Feingold – Ein jüdisches Leben von Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer , erzählt er wieder, allerdings zum letzten Mal, aus seinem Leben.
Ein 105-jähriger Mann sitzt vor der Kamera und spricht; drei Kameraperspektiven – halbnah, nah und sehr nah – vor schwarzem Hintergrund, in kontraststarken Schwarz-Weiss. Unterbrochen, aber auch strukturiert, wird die Erzählung durch Einblendungen von Hetz- und Hasspost, die er im Laufe der Jahre bekommen hat, und von diversen Propagandafilmen, für und gegen das Naziregime.
Sonst nichts, nur die Erzählung, das Gesicht, das Leben.

Ein Leben

 

Plakat Marko Feingold
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Marko Feingold hat vier Konzentrationslager überlebt, dabei seine gesamte Familie verloren, und manchmal sogar fast auch den Lebensmut.
Aber nur fast.
Es ist nicht allein die Geschichte, die Gräuel, die er so erzählt, dass man gebannt an seinen Lippen hängt, ohne dabei weniger erschüttert zu sein, es ist auch die Parallelität zur Gegenwart, die betroffen macht. Nicht die 1:1 politische Ähnlichkeit, nein, aber die Schändlichkeit, die Ignoranz im Umgang miteinander, die Bereitschaft, Bekanntes über Bord zu werfen, wenn es vermeintlich dem Fortkommen dient, oder die Faulheit unterstützt.

Vergangenheit und Gegenwart

Dass all das in 114 Minuten nie langweilig wird, liegt am erzählerischen Talent Marko Feingolds, er schafft es, Spannung und sogar Witz einzubauen, erzählt vom Tanzen und den schönen Anzügen, um dann in einer eleganten Wende vom Tod des Bruders im KZ zu sprechen.
Atemlos macht dieser Film und traurig, auch wenn man zwischendurch lacht und schmunzelt, und eben nachdenklich, weil diese Geschichte auch mit uns und mit unserem Heute zu tun hat.

In Wien läuft der Film zurzeit in drei Kinos:
Stadtkino
Village Cinemas
Breitenseer Lichtspiele

Man sollte sich den Film wirklich nicht entgehen lassen.

 

Stadtkino_Feingold
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Licht an auf der Leinwand

 

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Jetzt ist tatsächlich was passiert

 

Die Infektionszahlen sinken in Österreich, der Politik fällt kein Grund mehr ein, Öffnungen zu verschieben. Und so wird, mit einem lauten Paukenschlag, am Mittwoch, dem 19. Mai alles wieder geöffnet und erlaubt, das die letzten Monate geschlossen und verboten war.
Alles? Alles! Restaurants und Cafés, Sportstätten, Freibäder, Theater und Kinos.

 

 

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Die Vorgaben, die umzusetzen sind, sind allerdings komplex und zum Teil kompliziert, alleine die diversen Testformen sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Einheitliche Nachweise sind (noch) nicht vorhanden, wie das also vor den Restauranttüren und den Kinokassen aussehen wird, kann man nicht sagen. Die Kinos sehen sich auf jeden Fall gerüstet: Masken, Kontrollen, Abstände, Belüftung, alles sollte problemlos funktionieren.

 

 

 

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

 

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Als vor ein paar Wochen, gleichzeitig mit allen Geschäften, die mehr als nur sogenannt Notwendiges verkaufen, auch die Museen wieder öffnen durften, war der Ansturm sofort enorm. Vor den meisten Museen gab es – und gibt es weiterhin – Warteschlangen. Der Hunger auf Kunst, auf Kunst anderswo als in den eigenen Vierwänden, scheint gross. Das ist gut, denn alle Kunstbetriebe werden viel Publikum und Zulauf brauchen, um den Verlust der letzten Monate irgendwie auszugleichen.

 

Was wird gezeigt?

 

Mit dem Öffnen allein ist es natürlich nicht getan. Zwar liegen ausreichend Filme „auf Halde“, aber sind sie auch verfügbar? Filmverleih funktioniert ja grösstenteils international, wenn also nur in Österreich Kinos wieder spielen dürfen, werden die internationalen Produktionen dann gezeigt werden können, oder warten die Verleiher lieber auf den ungleich grösseren Markt zum Beispiel in Deutschland?

 

Zeit für einen Blick auf einige Wiener Kinos

 

 

 

Admiralkino
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Das Admiralkino in der Wiener Burggasse hat in den letzten Monaten etwas renoviert und ist jetzt gut gerüstet für den Start am Mittwoch. Die Vorgaben, neben der Kontrolle des Test- oder Impfstatus, sind im Wesentlichen dieselben wie vor dem letzten Komplettlockdown: Abstand, Maskenpflicht, Registrierung. Damit das am ersten Abend reibungslos läuft, plant Michaele Englert am Vorabend einen internen Probelauf.
Eröffnet wird dann mit: Waterproof von Daniela König und Ema von Pablo Larrain.

 

 

Filmcasino
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Das Filmcasino startet mit der restaurierten Fassung von In the Mood for Love  von Wong Kar-Wai.

 

 

 

 

 

Burgkino
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Im ehrwürdigen Burgkino wird es eine persönliche Auswahl der 10 besten Filme der letzten 20 Jahre geben, am Eröffnungsabend: Mulholland Drive von David Lynch.

 

 

 

Stadtkino
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Das Stadtkino eröffnet mit Federico Fellinis und startet dann mit dem österreichischen Film Ordinary Creatures von Thomas Marschall.

 

 

Schwerer als die Programmkinos haben es die Kinoketten, denn die grossen „Popcorn Produktionen“ stehen wohl erst zur Verfügung, wenn in andern Ländern auch mit Öffnungen zu rechnen ist. So öffnet das Artis Kino zum Beispiel vorerst noch nicht.

 

Wünsche und Träume

 

Das Admiralkino hätte übrigens am liebsten mit dem Oscar Gewinnerfilm Nomadland eröffnet, aber dieser Start ist noch etwas verschoben. Man wird also auf einige grössere internationale Produktionen weiterhin warten müssen. Aber vielleicht kann diese Zeit genutzt werden, um das reichhaltige europäische Arthouse – und Dokumentarkino auf die Leinwände zu bringen.

Bleibt also, allen Kinos einen tollen Neustart zu wünschen, allen Zuschauern viele inspirierende Kinoerlebnisse und uns allen, dass das Licht auf den Leinwänden so bald nicht wieder ausgeht.

 

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Zombies und Wildleder

Stadtkino_Zombi Child
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FilmTipp im Dopplepack

Weil es so lange kein Kino gab, diesmal gleich ein Doppeltipp, schliesslich muss man ja irgendwie das Verpasste aufholen. Zwei französische Filme, zwei eigenwillige Geschichten, ernsthafter der eine, schräger der andere.

Voodoo und Rap

Wer bei Zombi Child von Bertrand Bonello an schwankende, grunzende und vor allem blutrünstige Gestalten denkt, wird enttäuscht sein. Allen anderen sei der Film wärmstens empfohlen.
Erzählt werden gleich mehrere Geschichten oder Stränge miteinander verwobener Geschichten, in verschiedenen Zeitebenen. Teils 1962 in Haiti, teils heute in einem Eliteinternat in Frankreich. Orte und Zeiten wechseln, lassen kleine Spannungsbögen kurz hängen, wechseln hin und her, aber auch innerhalb der Zeiten und Orte wird nicht immer linear erzählt. Ereignisse bedingen sich, gehören zusammen, aber was Ursache und was Wirkung ist, bleibt auch immer wieder offen. Einerseits die Geschichte des Grossvaters in Haiti, der zum Zombie gemacht wird, aus Rache, aus Berechnung, um wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, seiner Erinnerung und seiner Freiheit beraubt, andererseits in Frankreich die Geschichte seiner Enkelin, die das Internat besucht. Zusammen ergibt das eine märchenhafte Mischung aus Brauchtum, Überlieferung, Erwachsenwerden und der Frage nach Zugehörigkeit.

Zombi Child_Plakat
Zombi Child_Plakat
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Mélissa, die Enkelin des Zombies, lebt zwei Traditionen, die ihrer Heimatinsel, Kolonialismus inklusive, und die Frankreichs, wo sie als Tochter einer Ordensträgerin der Ehrenrennlegion Anspruch auf einen Platz im altehrwürdigen Internat hat, Voodoo und Rap geben sich hier die Hand.
Und auch hier sind die Antworten nicht eindeutig, bewegen sich in Raum und Zeit, verschieben sich, je nach Perspektive. Das mag verwirren, aber hauptsächlich ist das spannend-schön und ganz am Ende fast ein wenig kitschig.
Der Film läuft zurzeit im Stadtkino.

 

 

Votivkino
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Durchgedrehte Wildlederjacke
Le Daim Filmplakat
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Wer sich an dem (schwachsinnigen) deutschen Verleihtitel: Monsieur Killerstyle orientiert und nicht weiter nachliest, worum es in Quentin Dupieux Film Le Daim (Wildleder, aber auch Hirsch) geht, mag hier eine böse Überraschung erleben. Auch das Plakat wird dem Film nicht gerecht und scheint eher zu einer albernen, kleinen Komödie zu gehören.

Zum Glück ist das nicht der Fall.

 

Was man bekommt, wenn man den Film trotzdem anschaut, ist eine schräge Geschichte voller Wahn und Witz, mit surrealen Dialogen zwischen der Wildlederjacke und ihrem Träger, mit wüstem Gemetzel und einem Einblick in die Obsession des Filmemachens. Das alles kurzweilig erzählt und brillant beendet. Einzig die etwas matschigen Filmbilder stören etwas, vor allem am Anfang, bevor man atemlos und lachend der Geschichte folgt.
Le Daim läuft zurzeit im Votiv Kino.

 

Abgelenkt und abgekühlt
Sommerliches Kino
Zombi Child- sommerliches Kino
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In allen Kinos wird weiterhin auf Hygiene und Abstand geachtet. Es gibt Warnhinweise und Desinfektionsmittel und die Kinokarten werden nicht abgerissen, sondern nur angeschaut, wirklich voll sind die Säle, vielleicht wegen des sommerlichen Wetters, zurzeit noch nicht. Wer also auf andere Gedanken kommen will und dabei bequem im Kühlen sitzen will, sollte dringend den einen oder anderen Besuch im Kino seines Vertrauens in Erwägung ziehen.

 

 

Abstands Hinweise
Abstandsregeln und Hinweise
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#FilmTipp Born in Evin

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Persönlich und politisch

Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree macht sich in Born in Evin auf die Suche nach ihren Anfängen, stösst allerdings auf eine massive Mauer aus Schweigen. Zaree wurde im iranischen Gefängnis Evin geboren, ihre Eltern Gefangene des Khomeni Regimes.

 

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Von dieser Ausgangslage aus erzählt Zaree einerseits chronologisch von ihrer Ankunft als kleines Kind in Frankfurt, von ihrem Leben dort mit dem abwesenden Vater, der erst später Gefängnis und Iran verlassen wird, und flicht andererseits ihre Suche nach Antworten im Heute dazwischen.

 

Suche

Weiter als bis zu: „Du wurdest im Gefängnis geboren“ ist sie bisher nicht gekommen, mit über 30 also der Wunsch mehr zu wissen, und das auch filmisch festzuhalten. Wie in vielen Familien mit massiven Traumata ist aber das Schweigen und das Wir-haben-es-überlebt grösser als der Wille die traumatischen Erfahrungen zu teilen.
So reist sie nach Paris zu Verwandten, zu Tagungen von Exiliranern, nach London, in die USA.
In kleinen Schritten lernt sie mehr von den Zuständen in Evin kennen. Kleine Schnipsel an Erinnerungen, enthüllt von Frauen, die dort waren, Grausamkeit und Folter bahnen sich einen Weg an die Oberfläche, doch ihr persönliches Schicksal bleibt weiterhin diffus.

Verweigerung

Die Mutter verweigert sich, will, obwohl studierte Psychotherapeutin, nicht verstehen, warum diese Antworten wichtig für ihre Tochter sein sollen.
Rückschläge und kleine Fortschritte, viel Schweigen und dann doch Menschen, die ihre Geschichte teilen wollen. Und langsam findet die Regisseurin zu einem, für sie akzeptablen Ergebnis der Suche: nicht die blanken Antworten sind wichtig, sondern die präzise und laut gestellten Fragen an die Mutter.

Bilder

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Born in Evin ist aber nicht nur wegen seines Themas interessant, sondern auch wegen seiner filmischen Machart. Trotz der vielen sehr privaten Momente bleibt die Kamera sachlich, ohne es dabei an Empathie mangeln zu lassen. Die Mischung von privaten Video Aufnahmen aus der Anfangszeit in Deutschland gemischt mit den vielen Momenten, in denen Zaree sucht, nachfragt, lästig ist oder einfach still verzweifelt, ergeben einen sehr dichten Film. Und sie findet auch immer wieder sehr schöne, stimmige symbolhafte Bilder, die den Prozess des Suchens und Findens verdeutlichen und weitertragen, aber auch, durch ihre Künstlichkeit, entspannend wirken.
Und ganz nebenbei zeigt sich wie wichtig und universell das Thema der verdrängten Traumata ist.
Der Film ist aktuell im Stadtkino in Wien zu sehen.

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