Dass Kinos weiterhin zu sind, hat sich genug herumgesprochen. Das ist aber noch lange kein Grund, gänzlich auf gutes Kino zu verzichten. Man muss nur etwas suchen. Neben den diversen, von Kinos angebotenen, Streamings gibt es noch bis zum 31.12. aus arte das artekinofestival. Gezeigt werden 10 europäische Kinofilme, die auch in virusfreien Jahren ausserhalb von Festivals selten bis gar nicht zu sehen wären.
Feiertags Filmfestival Tipps
Grandios chaotisch:
Ivana cea Groaznica (Ivana die Schreckliche) von Ivana Mladenović. Was macht eine Regisseurin und Schauspielerin, um sich selbst zu therapieren – sie schreibt ein ausgefeiltes Drehbuch, fährt von Bukarest, wo sie lebt, ins heimatliche Kladovo, und setzt ihr Drehbuch mit ihrer Familie und ihren Freunden um. Es spielen also alle sich selbst, aber nach dem Buch der Regisseurin, die natürlich auch mitspielt. Was dabei entsteht, ist extrem lustig, manchmal nah am Chaos, dabei aber gut durchdacht und toll gedreht. Realität und Spiel purzeln munter durcheinander und alles tanzt nach Ivanas Pfeife – wenn das keine prima Therapie ist.
Chaos im Londoner Wohnblock gibt es bei:
Cat in the wall von Mina Mileva und Vesla Kazakova. Mit Sohn und Bruder lebt eine junge Bulgarin in London, und obwohl beide Geschwister einen Uniabschluss haben, gibt es für sie in London nur Hilfsjobs. Als sie eine Benachrichtigung bekommen, dass sie für notwendige Sanierungen im Haus eine grosse Summe zu zahlen haben werden, fangen sie an, Kontakt aufzunehmen zu anderen Wohnungseigentümern, aber auch zu den von Sozialhilfe lebenden Mietern im Wohnblock. Und dann läuft ihnen auch noch eine Katze zu, die alles verkompliziert. Wechselnde Allianzen entstehen, viel lautes Geschrei, und eine ordentliche Portion Rassismus in alle Richtungen, trotzdem herrscht ein komödiantischer Unterton im Film und das Geschrei hat oft etwas Slapstickhaftes. Ein Film zum lachen und nachdenken.
Wahn in Blau:
Love Me Tendervon Klaudia Reynicke.
Ein junges Mädchen und ihre Eltern, zunächst scheint sie sich einfach nur von irgendetwas zu erholen, aber schnell wird klar, in ihrem teils brutalen, teils nur abweisendem Verhalten steckt mehr, und sie ist allein und unverstanden mit ihrem Problem. Als erst die Mutter stirbt und wenig später der Vater sie einfach allein zurücklässt, wird ihr Wahn offenbar. Mit unglaublicher Intensität spielt Barbara Giordano, in der Enge des Hauses, das zusehends mehr vermüllt, eine Art Tanz mit den inneren Dämonen.
Alle Filme wurden vom ehemaligen künstlerischen Leiter des Locarno Festivals Olivier Père kuratiert. Man kann aber nicht nur tolles Kino geniessen, sondern als Zuschauer auch für den European Audience Award des artekinofestivals mitstimmen. Der Film mit den meisten Punkten kann immerhin bis zu 20.000 Euro gewinnen. Und auch dem abstimmenden Zuschauer winkt ein Preis:
ein Aufenthalt beim Locarno Festival 2021.
Damit kann man sich nebenbei also eine Portion Optimismus sichern, bis zum August ist noch etwas Zeit, und dann dürfen wir hoffentlich nicht nur wieder raus, sondern auch wieder ins Kino.
Alles zu, manches auf, ein bisschen zu und dann das Gleiche wieder von vorne.
Was bleibt sind geschlossene Restaurants, Cafés, Bars und alle Kultureinrichtungen. Was offen bleibt, wird als täglicher Bedarf, als notwendig bezeichnet.
Demzufolge ist der Rest dann eben nicht notwendig, Luxus in irgendeiner Form. Und Luxus braucht es nach dieser Logik nicht in Krisenzeiten. Das so bitter wie verkehrt.
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Kunst ist Arbeit
Zusätzlich sind damit so gut wie alle, die in und für Kunsteinrichtungen arbeiten, ihrer Arbeit beraubt. Immerhin in einer Pressekonferenz am 11.12.2020 hat die Schweizer Bundespräsidentin Sommaruga eingeräumt: „(…) für die Kulturschaffenden kommt das einem Berufsverbot gleich…“. Immerhin, klare Worte. Worte, die man keineswegs von allen Regierungen hört.
Seit dem Frühjahr und der ersten „Coronawelle“ sind die diversen finanziellen Unterstützungen zwar etwas besser geworden, es hat sich – ein bisschen – herumgesprochen, dass auch Künstler ein Wirtschaftsfaktor sind, aber im Vergleich zu vielen anderen Wirtschaftszweigen bleibt die Hilfe, die Unterstützung überschaubar.
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Hilf dir selbst
Natürlich ist das Geld wichtig, ebenso wichtig ist aber auch die Möglichkeit für Künstler, sich auf ihrem Gebiet auszudrücken. In einigen Theatern, Opern- und Konzerthäusern darf immerhin wieder geprobt werden, manche haben für sich Wege gefunden, Aufführungen live ins Netz zu streamen. Es finden auch wieder Filmdrehs unter strengen Auflagen statt. Und bei einigen der Filmfestivals, die Anfang des Jahres stattfinden sollen, wird zwischen reiner online Ausführung und eventueller physischer Ausführung hin und her geplant. Das alles ist löblich und teilweise spannend. Aber was fehlt, ist der Austausch. Kunst wird auch für den Zuschauer gemacht, ohne den Zuschauer gibt es keinen Austausch, kein Lernen, keine Entwicklung, keine Kultur. Und während sich die meisten Länder als Kulturnationen bezeichnen würden, behandeln sie die Kunst, die überhaupt erst die Kultur macht, wie unnötigen Luxus.
Das ist falsch. Nicht nur für die Künstler, sondern auch für die Zuschauer.
Das Anschauen von Theaterstücken, Filmen oder Konzerten im Internet, auf egal wie grossen oder eben kleinen Monitoren, ist da kein Ersatz.
Was sind wir ohne Kunst?
Die einen wollen, müssen Kunst herstellen und anbieten, aber wir alle sind Kunstkonsumenten.
Kunst in ihren vielen Facetten trägt zu unserer Entspannung bei, zur Horizonterweiterung, sie kann aufregen, anregen und beruhigen, Perspektiven bieten und aufzeigen. Egal ob es dabei um Kino, Museum, Theater oder Konzert geht, Kunst ist ein Lebensmittel.
Und zwar egal wie rau die Zeiten gerade sein mögen.
Ohne Kunst ist die Welt um die Kultur ärmer.
Darüber werden wir reden müssen, grundsätzlich und bald.
Und nicht nur untereinander, sondern auch dort, wo das anscheinend vergessen wurde, wo Kunst nur zu Festtagen zelebriert wird.
Nicht jeder Mensch auf die gleiche Art und Weise, des einen Tatort ist des anderen Pulp Fiction, ist des nächsten Rudolf Thome oder Jean-Luc Godard.
Popcorn-Kino, Fernsehen, Streaming, Programmkino, oder Filmclub – das Programmkino des Programmkinos –, alles hat seinen Platz, seine Zuschauer, seine Berechtigung. Und gerade jetzt, wo es allen Kinos ohnehin schwerfällt zu überleben, wo häufig wechselnde Hygienevorschriften für immer neue Akrobatikübungen bei der Zuschauerverwaltung bedeuten, gerade jetzt droht dem renommierten Kölner Filmclub 813 das Aus.
Eine kölsche Institution
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Der Filmclub 813 formierte sich 1990, seit Januar 1991 werden regelmässig Filme gezeigt. Man mag von Köln denken was man will, aber was unbestritten ist, ist die rege, bunte und rührige Kölner Filmszene, unabhängige, renitente Herzblutfilmemacher, die regelmässig bei Filmfestivals von sich reden machen. Aus diesem Biotop heraus muss man auch den Filmclub 813 sehen und verstehen. Gezeigt wird Schräges und Rares, Abseitiges, aber auch Bekanntes. Dank einer exzellenten Vernetzung mit andern Filmclubs europaweit, können diese Perlen des Filmgeschehens immer wieder gezeigt werden, seit 30 Jahren. Und nicht von Ungefähr wurde der Filmclub mehrfach für seine Programmierung als Regionalkino ausgezeichnet.
Analog und ungeschönt
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Nach anfänglich wechselnden Spielorten, ist seit 1995 das denkmalgeschützte Haus (Wilhelm Riphahn, 1950) in der Kölner Hahnenstrasse der ständige Standort des Filmclubs. Und da beginnt nun das Problem. Anfangs teilte sich der Filmclub das Gebäude mit dem British Council, seit 2003 mit dem – auch renommierten – Kölnischen Kunstverein.
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Kunst und Kultur in einem Haus, das sollte doch funktionieren, möchte man meinen. Tut es aber nicht, und das aktuelle Streitkapitel ist eine fristlose Kündigung des Filmclubs durch den Kunstverein!
Ein Kino ohne Kinosaal?
Klarerweise geht das gar nicht. Man kann ein, überwiegend, analoges Programm auch nicht einfach online ins Netz verlegen. Kinos wie der Filmclub 813 brauchen noch mehr als andere den Austausch, das Publikum, das Gespräch, auch wenn nur 20 % der Plätze besetzt werden dürfen. Es braucht also dringend eine Lösung, eine, die die verhärteten Fronten wieder in Bewegung bringt, eine, die ein wichtiges kulturelles Juwel am Leben lässt. Zurzeit ist die fristlose Kündigung ausgesetzt, die Anwälte verhandeln, und es gibt einen offenen Brief, den man unterschreiben kann.
Gerade in Köln sollte das Motto: Leben und leben lassen auch für diesen Fall gelten.
Nein, es ist nicht alles wieder gut! Es herrschen weiterhin Beschränkungen. Kinos spielen, aber mit reduziertem Platzangebot. Der Mund-Nasen-Schutz wird zu so etwas wie einem Modeaccessoire.
Trotzdem, manches geht wieder – zumindest so ein bisschen.
In Wien zum Beispiel laufen diverse Filmtage, Filmfestivals. Das Platzangebot im Saal beschränkt, Zugang mit Mund-Nasen-Schutz, möglichst keine Menschenhaufenbildung vor dem Saal, auch wenn genau das am schlechtesten funktioniert.
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Zurzeit können also noch japanische Filme beim Japannual angesehen werden.
Bis Ende des Monats läuft das Jüdische Filmfestivalmit einem umfangreichen und buntem Programm.
Und auch die Viennale findet dieses Jahr statt, fast wie gewohnt. Fast, weil es keine Orte für Begegnungen geben wird, also von den Kinosälen einmal abgesehen. Zusammentreffen von Filmschaffenden und Publikum mit gemeinsamen Trinken alkoholhaltiger Getränke ist abgesagt, dafür bleiben die Filmvorstellungen bestehen, und finden dieses Jahr sogar in noch mehr Kinos als sonst statt. Das vollständige Programm wird am 13.10. veröffentlicht.
Und international?
Die ersten Filmfestivals von 2021 werfen schon leichte Schatten voraus. Filme können eingereicht werden, erste Ideen, wie der aktuellen Situation begegnete werden kann, stehen im Raum. Einige Festivals planen Hybridversionen, heisst: sowohl Live-Programm in Kinosälen als auch Online-Programm, andere setzen auf Live-Versionen, alle versprechen ein gutes Hygienekonzept.
So kann geplant werden, kann auf aktuelle Veränderungen reagiert werden, geht das Filmschaffen nicht völlig unter. Das ist gut.
In Locarno scheidet künstlerische Leiterin Lili Hinstin nach nur zwei Jahren wieder aus, die offizielle Begründung: „unterschiedlichen Auffassungen über die Zukunftsstrategie “. Das heisst alles und nichts, und ist umso unverständlicher, als noch im Sommer Festival Präsident Marco Solari und Lili Hinstin sich gegenseitig lobten, trotz widriger Umstände ein so gutes Festival hinbekommen zu haben. Die Unterschiede in der Auffassung müssen also gravierend gewesen sein, denn normalerweise lässt Solari seinen künstlerischen Leitern völlig freie Hand beim Gestalten.
Ausblick
2021 wird man sehen, was im deprimierenden Jahr 2020 alles möglich war, was fertig wurde und wie es fertig wurde. Bleibt zu hoffen, dass die Filmqualität nicht zu sehr gelitten hat, dass Kreativität schlechte Bedingungen überwinden konnte, dass neue und alte Ideen zu spannenden Projekten werden konnten und werden können. 2021 wird auf jeden Fall ein spannendes Kinojahr.
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Und die blöde Metapher vom Licht am Ende des Tunnels sollte – auch gedanklich – ersetzt werden durch: Licht an im Tunnel, dann sieht man auch was möglich ist,
und: es ist weniger dunkel.
Das war sie, die Sofaedition des Filmfestivals Locarno 2020
Filme für die Zukunft, die Zukunft des Films, all das wurde ausgelotet, aber wie immer kann niemand die Zukunft sicher vorhersagen.
Die Preisträger wurden recht unspektakulär per E-Mail und ohne jegliches Zeitembargo mitgeteilt, heute Abend werden sie dann in Locarno etwas feierlicher und vor kleinem Publikum verkündet.
Goldene und silberne Leoparden
(c) Locarno filmfestival
Die beiden Hauptpreise, also die goldenen Leoparden national und international, gehen jeweils an eine Regisseurin. International an die Argentinierin Lucrecia Martel für Chocobar und national an Marí Alessandrini für Zahorí. Spezialpreise gehen an Verena Paravel und Lucien Castaing-Taylor für De Humani Corporis Fabrica (The Fabric of the Human Body). Und an Raphaël Dubach und Mateo Ybarra für LUX.
Eine der Begründungen der Hauptjury für war, dass sie die Filme bevorzugt haben, deren Arbeit durch die Pandemie zu einem schon relativ weit fortgeschrittenen Zeitpunkt unterbrochen wurde. Auf jeden Fall kann man gespannt sein, was aus diesen – und allen anderen eingereichten, Projekten wird. Filme, die Übermorgen auf die Leinwand kommen werden, dann hoffentlich mit Publikum im Saal oder auf der Piazza. Die Jury Begründungen zum Nachhören und Anschauen.
Die Kurzfilme – Pardi di Domani
Gewinner Pardi di Domani (c) Locarno filmfestival
Die Pardinos, also die Preise für die Pardi di Domani sind eine schlüssige und nachvollziehbare Wahl. Den goldenen Pardino international gewinnt der essayistische und politisch hochaktuelle Film I ran from it and was still in it von Darol Olu Kae (USA).
Den silbernen Pardino gewinnt der sehr schöne Film History of Civilization von Zhannat Alshanova (Kasachstan).
National geht der Pardino d’oro an den wunderbar versponnenen: Menschen am Samstag (People on Saturday) von Jonas Ulrich. Und eine Geschichte vom Erwachsenwerden gewinnt den Pardino d’argento: Trou Noir (Black Hole) von Tristan Aymon.
Jury Begründung zum Nachhören und Anschauen.
Kein Zukunftsmodell
So gut es auch war, das Programm in Teilen online zur Verfügung zu stellen, und so gut das auch funktionierte, ein echtes Zukunftsmodell sollten online Festivals nicht werden. Natürlich gibt es kleine Vorteile: Niemand haut einem einen Rucksack an den Kopf, keiner redet während man konzentriert schaut, man sitzt auf dem heimischen Sofa besser, als auf den meisten Kinositzen, man muss vor dem Klo nicht Schlangestehen. Aber es gibt eben auch nicht das Gefühl gerade gemeinsam mit anderen einem Wunder, einem Experiment oder auch einem Ärgernis beigewohnt zu haben. Man hat keine unmittelbare Reaktion von anderen, die den Saal und das Erleben geteilt haben. Und nicht zuletzt: man hat überhaupt kein Festivalgefühl.
Nächstes Jahr dann in Locarno (c) ch.dériaz
In diesem Sinne also: Locarno 2021 findet vom 4. bis 14. August statt, dann hoffentlich wieder im Tessin.
Im Rahmen des Festivals gab es eine weitere sehr interessante und lebhafte online Diskussion, diesmal zum Thema: Wieviel ist ein Filmstart wert? Es diskutierten Kinobetreiber, Streamingdienstanbieter, Produzenten, aber auch eine Vertreterin des Bundesamts für Kultur über nichts Geringeres als die Zukunft der Ausspielmöglichkeiten für Kinofilme.
Kino, Streaming oder beides?
Nicht erst seit dem sogenannten Lockdown stellt sich die Frage nach Streaming oder Kino.
Dabei ist das eigentlich die falsche Frage, es muss viel mehr gefragt werden wie weit können Streaming und Kinoauswertung voneinander profitieren und dabei die Filmindustrie als solche stützen und Zuschauer halten oder sogar gewinnen?
Dass dieses Problem nicht mal eben gelöst werden kann ist schnell klar. Weil es eben nicht um ein simples Polarisieren geht, es ist auch nicht die Frage, ob Kinos altmodisch sind und streamen modern ist.
Ins Kino gehen oder Film anschauen?
Eine Tatsache ist, ins Kino gehen ist nicht dasselbe wie einenFilm anschauen. Auch wenn im Kino natürlich ein Film angeschaut wird, ist der Gang ins Kino eine komplexe Form der Freizeitgestaltung, deren Erfolg – also auch der persönliche Lustgewinn – hängt auch keineswegs nur vom ausgewählten Film ab.
Die Kinoatmosphäre, die Begleitung, das Drumherum spielen eine nicht unwesentliche Rolle. Und gute Kinos funktionieren dann am besten, wenn sie eingebunden sind in einen Lebensraum, also Innenstädte zum Beispiel.
Aber Kinos, besonders Programmkinos, bieten eben auch durch ihre Filmauswahl, man könnte es auch hochtrabend, durch das Kuratieren eines Programms nennen, etwas an. Und hier kommt eine erste Möglichkeit ins Spiel, wie digitale Ausspielwege und Kinos koexistieren könnten.
Diskussionsrunde Saal oder Stream (c) ch.dériaz
Kinos als Programmierer von E-Kinosälen
Die Idee wäre, dass den Kinobetreibern das Werkzeug an die Hand gegeben würde, Filme, die sie auch im realen Saal zeigen, im Anschluss in einem digitalen Saal zu vertreiben, mit einer Aufteilung des erzielten Gewinns zwischen dem jeweiligen Kino und den Plattformbetreibern. Über Zeiten und Preise müsste natürlich auch diskutiert werden.
Video on Demand
Der nächste Schritt wäre die Auswertung als Video on demand, wodurch die Auswahl zeitlich noch etwas unabhängiger würde, die Preise günstiger sein könnten, da es sich dabei nicht mehr um ganz neue Filme handeln würde.
Bei diesen, wie auch bei vielen anderen denkbaren Wegen, bleiben zwei Punkte ganz wesentlich, dass einerseits der Film als kulturelles Medium erhalten bleibt, weil er erhaltenswert ist und zum anderen, dass alle Dienste Bezahlmodelle sein müssen. Kein Wirtschaftszweig arbeitet gratis, auch die Filmwirtschaft nicht.
Koproduktionen
Was im Hinblick auf internationale Koproduktionen natürlich dringend geklärt und aktualisiert gehört, und da ist die Kultur- und Wirtschaftspolitik gefragt, sind die von Land zu Land verschiedenen Rechtemodelle und Garantien auf den sogenannten hold back, also das Verbot Filme vor einer Saal-Auswertung online zu zeigen.
Den richtigen Film finden im Angebot
Um Filme an den Zuschauer zu bringen wird aber immer auch Werbung in der einen oder anderen Form nötig sein. Es reicht nicht „alle“ Filme auf eine Plattform zu stellen, und dann zu glauben, dass sie auch alle angeschaut werden. Wer Fernsehen mit 60 (oder mehr) Programmen kennt, weiss dass davon die Auswahl nicht leichter wird. Auch hier wäre eine Zusammenarbeit von Produktionen, Vertreibern, Kinos und Kulturvermittlern (wie zum Beispiel Journalisten) nötig, um einen Weg durch die Menge überhaupt gangbar zu machen.
Das Thema muss behandelt werden, von Menschen mit Liebe zum Film, zum Kino und mit dem Wissen das alles auch an den Zuschauer weiterzugeben.
Die wirklich spannende Diskussion kann noch online angeschaut werden. Allerdings sollte man, es war eine Schweizer Runde, sowohl Deutsch als auch Französisch verstehen, denn jeder Antwortete in seiner Sprache.
Auch das ist Locarno.
17 Uhr Roundtable Diskussion, zum Thema: Wie umgehen mit dem filmischen Erbe, nur restaurieren und aufbewahren oder auch streamen? Angekündigt sind: Frédéric Maire (Cinémathèque Suisse), Emilie Cauquy (Cinémathèque Française/HENRI), Penelope Bartlett (The Criterion Channel), Geremia Biagiotti (Intramovies) · Moderated by Nick Vivarelli (Variety)
(c) ch.dériaz
Theoretisch sollten die Diskussionen direkt auf der Webseite des Festivals laufen. Praktisch gibt es um 17 Uhr nur den Hinweis, dass es derzeit kein Streaming gibt. Falsch, denn auf dem Locarno Festival Youtube Kanal läuft die Diskussion, allerdings mit soviel Bild-Ton Versatz, dass das wirklich keinen Spass macht.
Nach etwa 10 Minuten läuft dann auch auf der Festivalwebseite die Diskussion, ohne Versatz!
Alle Cinemathek Verantwortlichen oder Plattformbetreiber sind sich einig, historische/klassische Filme nur im Vertrauen auf cinephile Kinobesucher aufzubewahren, ist weder zeitgemäss, noch angebracht. Und alle haben in letzter Zeit gute Erfahrungen gemacht mit ihren diversen Modellen dieses filmische Erbe online an Zuschauer zu bringen. Einig sind sich aber auch alle, dass das langfristig nur mit dem einen oder anderen Bezahlmodell gehen wird. Es ist schon jetzt nicht in allen Ländern und in allen Cinematheken gewährleistet, dass Filme adäquat aufbewahrt und restauriert werden. Dieses Filmerbe ist aber überall kulturell enorm wichtig und darf nicht einfach irgendwo vergessen werden.
Roundtable FilmErbe (c) ch.dériaz
Sommerkino
Zurzeit ist es in Wien auch nicht weniger heiss als in Locarno und so stellt sich die hier wie da die Frage: Eis essen oder Film schauen? Schwimmen oder schreiben?
Während also draussen die Strasse vor sich hin köchelt und die Wiener Tauben gurren – statt pfeifender Locarneser Mauersegler – drinnen die letzten Kurzfilme anschauen; Eis geht schliesslich immer.
Seit heute sind alle Kurzfilme der Pardi di Domanionline abrufbar.
Nochmal einige FilmTipps
Mit 40 Minuten der längste und thematisch, wenn man so zum Mont Blanc schaut, der aktuellste Film ist Icemeltland Park von Liliana Colombo (GB/I). Eine fiktive Vergnügungsparkattraktion: schmelzenden, bröckelnde Gletscher schauen und mit dem Handy filmen gehen. Auf der Tonspur, fröhliche Kommentare bei jedem Abbruch. Im Bild Gletscher, die Teile ihres Eis ins Meer werfen. Im Verlauf des Films kommen die Auswirkungen, wie Überflutungen, riesige Flutwellen etc dazu, in Bildteilung in direkten Bezug zum Gletscher gebracht. Eine Science-Fiction-Experimental Dokumentation, die Spass macht und trotzdem mehr als nachdenklich stimmt. Der Film nutzt die volle Kraft der Montage und Kollage!
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(c) Liliana Colombo
icemeltland_park_3
(c) Liliana Colombo
Off Texte: für und wider
Auffallend viele Filme dieses Jahr arbeiten mit Off Texten, das geht manchmal gut, meistens aber entlarvt der Film damit seine Mangel an visueller und narrativer Kraft.
Sehr gut funktioniert das Konzept bei Burnt. Land of Fire (Grigio. Terra bruciata) von Ben Donateo (CH). Unter der sehr schönen und poetische Dokumentation über den Verfall eines Orts, liegt ein geflüsterter, fast gehauchter Text, der die schönen und quadratischen Bilder sanft unterstützt. Die Erklärung, das Verständnis geht aber immer von den Bildern aus, wäre auch ohne den Text klar verständlich. Wunderbar ins Bild gesetzt der malerische Verfall der Häuser, die flirrende Luft und der Dorfhund, der auch alt und verfallen zu sein scheint. Ein visueller Höhepunkt: die Gesichter der alten Dorfbewohner, die still in die Kamera schauen und dabei immer aussehen, als würden sie gleich zu reden anfangen, aber, dann, nein, doch nicht.
Der serbische Film How I Beat Glue and Bronze (Kako sam pobedio lepak i bronzu) von Vladimir Vulević, wählt auch Off Texte, während in der Handlung des Films eigentlich nicht gesprochen wird. Ein seltsamer Mann, lange Passagen, in denen er, in stets düsteren Bildern, seinem Alltag nachgeht, aufstehen, dem Nachbarn die Zeitung bringen, zum Friedhof und zur Arbeit gehen. Die Texte dazu sind etwas zeitverschobene Zeugnisse seines Daseins, seines Lebens, dessen was man von ihm weiss oder zu wissen glaubt. Das funktioniert einigermassen.
glue_and_bronze (c) Vladimir Vulević
In The End of Suffering (A Proposal) von Jacqueline Lentzou (Griechenland) funktioniert das ganz und gar nicht.
Eine verzweifelte junge Frau, in der U-Bahn, weinend, rennend, durch das analoge Filmmaterial entstehen sehr schöne und organische Bilder, man weiss zwar nicht was passiert, aber man erkennt die Verzweiflung und schaut gespannt zu. Aber dann mischt sich das Universum ein, in Form eines Off (Telefon) Dialogs, allerdings zieht es das Universum vor nur in Untertiteln zu reden. Ab da reihen sich zwar weiterhin interessante Filmbilder unter den Off Dialog, aber die illustrieren eher symbolhaft den Text, dadurch geht die Einheit des Films komplett verloren.
Jung und verzweifelt
Spotted Yellow (Zarde khaldar) von Baran Sarmad (Iran).
Auch hier eine verzweifelte junge Frau, diesmal ohne off Texte, eigentlich überhaupt ohne jeglichen Dialog. Die Frau mit Hang zu gelben Accessoires und einem gelblichen Mal im Gesicht, driftet langsam in eine schräge, eigene Welt ab. Wunderbar versponnen, ganz reduziert aber toll gespielt, eine schöne Kamera und die Sprache, wenn überhaupt, nur als Atmo vorhanden.
spotted_yellow (c) Baran Sarmad
Black Hole (Trou Noir) von Tristan Aymon (CH) Ein Sommertag, eine Sommernacht, eine Bande von Jungs ausgelassen skatend, rauchend, feiernd. Eine hermetische Gruppe, doch für einen soll es schon am folgenden Tag in ein Internat gehen. Ein dunkles Loch, aus dem er ein Tier gehört haben will, lenkt ihn von seiner Grübelei ab und zeigt einen metaphorischen Neuanfang, der in den meisten Enden steckt. Die Bildersprache übersetzt sehr gut den jeweiligen Gemütszustand der Gruppe und des Einzelnen.
Einfach nur schön
A Boring Film (Ekti ekgheye film) von Mahde Hasan (Bangladesch) Ein Kameraspiel in schwarz-weiss, eine Übung in Bildkomposition, Tiefe, Schärfe, Unschärfe, Vorder- und Hintergrund. Ein Mann, Räume innen und aussen, Geräusche, Lärm, jedes Bild einfach nur schön, das Auge folgt, braucht weder Geschichte noch Erklärung; alles andere als langweilig, und auf einer grossen Leinwand sicher noch spannender anzuschauen. Die Beschreibung des Films, nach der es um Selbstquarantäne und Schlaflosigkeit geht, erschliesst sich nicht zwingend, ist aber auch nicht notwendig.
a boring film (c) Mahde Hasan
a boring film (c) Mahde Hasan
The Unseen River (Giòng sông không nhìn thấy) von Pham Ngoc Lan (Vietnam/Laos)
Von Anfang an betört der Film mit Verwirrung: bewegt sich das Boot, oder der Motorroller, was ist Innen, was Aussen, Natur, oder menschgebaut? Im Verlauf scheint sich auch die Zeit der Einordnung zu entziehen. Aber alles bleibt in einem harmonischen Fluss, dem man gerne folgt, ohne ihn wirklich zu verstehen.
Surreale Animation
O Black Hole! vonRenee Zhan (GB)
Grossartiges animiertes Musical, über Liebe, Vergänglichkeit, Loslassen und die Freiheit der Einzigartigkeit. Sensationelle Mischung diverser Animationsarten, Zeichnung und Stopmotion mit Plastilinfiguren. Super.
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(c) Renee Zhan
o_black_hole
(c) Renee Zhan
Push This Button If You Begin to Panic von Gabriel Böhmer (GB/CH)
Wegen eines Lochs im Kopf geht ein Mann zum Arzt, um ein MRT machen zu lassen. Dort geschieht allerlei Obskures und Verträumtes, und so ein MRT ist auch komplexer als gedacht. Verschiedene Animationstechniken und randvoll mit skurrilen Idee.
Zu kurzfristig, die Lage zu unsicher und dann noch andere Arbeit, die sich dazwischen geschoben hat, dieses Jahr also Berichte vom Locarno Festival, bequem vom heimischen Sofa aus.
Mittwoch, 5. August, 20 Uhr. Der Computer ist aufgeladen, Getränke kalt gestellt, aber draussen ist es zu kalt, zu hell und zu laut. Die Eröffnung also innen.
Wobei, in Locarno findet zur gleichen Zeit ja auch alles in Innnenräumen, genannt Kinos, statt. Passt also. Nochmal alles gerade rücken, die Live Online Übertragung der Eröffnung kann beginnen.
Eröffnung Online (c) ch.dériaz
Und schon geht der Ärger auch los. Live und Online ist nicht so richtig zuverlässig, das Bild stoppt, Fehlermeldungen erscheinen, das Bild läuft wieder. Eine Weile geht alles gut, die Politik kommt zu Wort und es gibt viel Lob für das Festivalteam, viel Unterstützung auch, nicht nur für das Festival, sondern für den Film und die Filmschaffenden allgemein. Festivalpräsident Marco Solari beginnt seine Rede auf Deutsch, und wirft gleich ein trotziges „wir lassen uns nicht unterkriegen“ in den Saal. Recht hat er. Der Leopard mag dieses Jahr nicht über die Leinwand der Piazza Grande schleichen, sein Knurren ist aber deutlich vernehmbar.
Die 73. Ausgabe des Locarno Filmfestivals ist also offiziell eröffnet, mit einem anderen Programm als üblich, mit andern Ausspielwegen, mit Hygieneregeln und Abstand, aber trotzdem mit Enthusiasmus und Liebe zur Filmkunst.
Ein bisschen wie Komaglotzen
Dem Online Pressezugang sei Dank können die Kurzfilme der Leoparden von Morgen bereits seit dem 29. Juli angeschaut werden. Das funktioniert tadellos und auf Anhieb, statt täglich um 14 Uhr in Locarno ins Kino zu gehen, gibt es täglich soviel Kurzfilme, wie das Hirn verarbeiten kann oder mag. Ab 5. August 21 Uhr können dann auch alle anderen Zuschauer und Neugierigen die ersten Kurzfilme online anschauen.
Hier einige Filmtipps
Land Lot S7 (Parcelles S7)von Abtin Sarabi (Senegal/F/Iran)
Die archaische Arbeit, der Zuckerrohrernte im Senegal. Felder, Feuer, Zuckerrohr, Macheten, die Bewegungen folgen einem eigenen Rhythmus, wie ein Tanz. Dazwischen, oft nur ganz kurz, Menschen mit alten kultischen(?) Holzmasken. Unterlegt mit einem Gedicht übers Zuckerrohrschneiden. Eigenwillig, schön, interessant.
People on Saturday (Menschen am Samstag) von Jonas Ulrich (CH)
Urbane Räume, Glas, Beton strenge Linien oder Bögen, die Menschen, die sich darin bewegen, scheinen unwichtig, beliebig. Was trocken und etwas langweilig klingt, ist mit viel subtilem Humor und Witz behaftet, macht sehr viel Spass und ist alles andere als ein Produkt von Zufälligkeit.
Politische Kurzfilme
Bethlehem 2001 von Ibrahim Handal (Palästina) Bethlehem unter Ausgangssperre, während draussen israelische Panzer und Soldaten gegen steinewerfende Palästinenser kämpfen; Erinnerungen an eine Kindheit, im Wechsel fast abstrakte Momentaufnahmen beim Spielen, im Alltag und dazwischen Originalaufnahmen der Aktionen in den Strassen der Stadt. Im Erinnern wird der Off-Sprecher wieder zum Kind. Ziemlich cool ist das.
I ran from it and was still in it von Darol Olu Kae (USA) Foundfootage, privat Filme, verschiedene Bildformate, im Off Texte von Dichtern oder politischen Persönlichkeiten, ein Experimentalfilm über persönlichen Verlust und Trauer, und deren Universalität; alles vor dem Hintergrund Schwarzen Lebens in den USA.
History of Civilization von Zhannat Alshanova (Kasachstan) Eine beliebte Dozentin am Vorabend ihres Umzugs von Kasachstan nach England. Auf 15 Minuten komprimiert: Lebensperspektiven, Liebe, Heimat, Politik und soziales Miteinander, und das in wunderbaren Bildern und einer ganz einfachen Geschichte erzählt.
Ein Altersheim: die Bewohner, dünne, durchscheinende Skizzen, der Strich flüchtig, wie das was von ihrem Leben noch bleibt, manchmal blitzen kurz Farbe auf, wie Erinnerungen. Sehr schön gemacht und auch berührend.
Salmon Men (Lachsmänner)
von Veronica L. Montaño, Manuela Leuenberger, Joel Hofmann (CH)
Bunte Bleistift Animation, von paarungswilligen Lachsmännchen und tanzenden, gurrenden (!) Lachsweibchen, stromaufwärts, stromabwärts. Es geht um Fische, um Natur, aber eben nicht nur. Sehr schön.
In 14 Tagen um die Welt – zumindest im Film
Leinwand,Stühle, Pardokuh (c) ch.dériaz
Es muss einfach immer wieder gesagt oder geschrieben werden: Es müssen mehr Kurzfilme ausserhalb von Festivals gezeigt werden. Diese wunderbare Filmkunstform vermag es, in oft ganz wenigen Minuten, das Befinden und die Befindlichkeiten unserer Welt zu zeigen, ganz leichtfüssig, oft mit viel Humor, aber auch immer mit viel Ernsthaftigkeit.
Locarno 2020 bietet die Möglichkeit 31 internationale und 12 nationale (online wohl nur aus der Schweiz) Kurzfilme zu sehen. Wer jetzt neugierig ist, sollte nicht zu lange zögern, pro Film sind 1,590Zugriffe vorgesehen, das entspricht der Anzahl Zuschauer, die in einem „normalen“ Jahr im Kinosaal die Filme sehen könnten. Die Auswahl ist in zwei Tranchen geteilt, die ersten also ab sofort, die ist zweite ab 9. August zu sehen. Und seit heute können hier auch die Kurzvorstellungen der Projekte, durch die Filmemacher, für die Filme von übermorgen angeschaut werden.
Hätte, würde, sollte, könnte…. 2020 ist ein Jahr für Grammatikfans!
Am 5. August um 21:30 hätte auf der Piazza Grande in Locarno der Eröffnungsfilm beginnen sollen, es hätte vorher eine kleine, vermutlich launig-feurige Rede von Festivalpräsident Marco Solari gegeben und die künstlerische Leiterin Lili Hinstin wäre, mit neuer Frisur, in ihr zweites Jahr in Locarno gestartet. Mit Glück wäre es eine dieser schönen lauen Tessiner Nächte gewesen und mit Pech wären einige der Plastikstühle unter lautem Krachen unter jemandes Hintern zusammengebrochen.
Dieses Jahr also nicht, weil dieses Jahr alles, was Festivals, was Kultur angeht, anders funktioniert.
Das Festival von Locarno war zunächst komplett abgesagt worden, dann hiess es, die gesamten Kurzfilme würden online gezeigt und auch die Pardinos würden von der Jury vergeben. Ein bisschen später kamen Filme derOpen Doors Sektion – dieses Jahr weiter mit Filmen aus Süd-Ost Asien – dazu. Es folgte die Entscheidung, die Hauptpreise an Filme für Übermorgen, Filme also, die wegen des dämlichen Virus nicht fertiggestellt werden konnten, aber schon so weit fortgeschritten sind, dass sie sich einer Jury präsentieren können.
Und dann, vor gar nicht so langer Zeit, fiel die Entscheidung, das abgespeckte, alternative Programm in drei Kinos in Locarno vor Publikum zu zeigen, zusätzlich zum Onlineangebot.
Das Einzige das es dieses Jahr gar nicht geben wird, sind Vorstellungen auf der Piazza Grande.
Locarno für alle
Wer sich also die Mühe macht, auf die Festivalseitezu gehen, findet dort alle Angaben wie und wo, kostenfrei, die Kurzfilme der Pardi di Domani zu sehen sind, oder kann sich Lang- und Kurzfilme aus Süd-Ostasien anschauen oder in der Sonderausgabe A Journey in the Festival’s Historyausgewählte Filme der letzten Jahreentdecken oder wiedersehen. Einzig die von Lili Hinstin persönlich ausgesuchten Secret Screenings werden tatsächlich nur in Locarno zu sehen sein, dort heisst es dann, Karte besorgen, ins Kino setzen und sich überraschen lassen. Aber auch Interviewrunden und Gespräche zu filmrelevanten Themen werden in der Zeit vom 5. bis 15. August online zur Verfügung stehen.
So kann dieses Jahr tatsächlich jeder sich ein bisschen Locarno nach Hause holen, und Filme sehen, die es sonst nicht so leicht zu sehen gibt.
Von den zwanzig Filmen –10 nationale und 10 internationale –, die für die Hauptpreise zur Verfügung stehen, wird man als Zuschauer nichts zu sehen bekommen, schliesslich sind die meisten gerade mal angefangen, angedacht, ein bisschen gedreht oder wurden kurz vor dem geplanten Drehbeginn ausgebremst. Spannend ist diese Variante auf jeden Fall.
Und auf einige der Filme kann man ganz gespannt sein, wie zum Beispiel Cidade;Campo von Juliana Rojas, die mit dem fabelhaften Werwolf Film As Boas Maniera (Good Manners) begeistert hat. Oder auch der neue Film der Anthropologen Verena Paravel und Lucien Castaing-Taylor De Humani Corporis Fabrica,die mit Leviathan den FIPRESCI Preis der internationalen Filmkritik gewonnen hatten. In der nationalen Auswahl ist von Unrueh, dem nächste Projekt von Cyril Schäublin, nach seinem schräg-spannenden Erstling Dene wos guet geit einiges zu erwarten.
Die Juryentscheidungen werden dann am 15. August, am letzten Festivalabend bekannt gegeben.
Pardo im Regen (c) ch.dériaz
Die Eröffnungszeremonie ist übrigens auch Live online zu sehen: Am besten also den Computer ins Freie tragen, bequem hinsetzen und Getränke zur Hand haben. Für das ultimative Locarnogefühl: bei jedem Wetter raussetzen, und dann viel Spass bei Locarno 2020.
Mika Kaurismäkis romantische Komödie ist echtes Sommerabendkino, fröhlich, witzig, luftig, dabei intelligent und warmherzig mit einer grossen Portion Skurrilität. Damit wäre eigentlich schon fast alles an Tipp gesagt, aber selbst wenn man kein ausgesprochener Fan romantischer Geschichten ist, ist Master Chengin Pohjanjoki einen Besuch im Kino wert.
Von Shanghai nach Lappland
Mit seinem kleinen Sohn landet Cheng, ein Spitzenkoch, in einem finnischen Nest. Eine Tankstelle, ein Imbissrestaurant, grummelige Typen und sonst eigentlich nur Landschaft. Der letzte Ort also, den man einem chinesischen Städter empfehlen würde. Höflich und beständig befragt er alle Dorfbewohner nach einem mysteriösen Herrn Fongtron. Alles von Drogen- und Menschenhandel bis zu düsteren Geheimnissen scheint möglich; wer ist Cheng, wer ist Fongtron und wo ist eigentlich die Mutter des kleinen Jungen? Als eine chinesische Reisegruppe den Imbiss stürmt, retten Changs Kochkünste die Situation, fortan kocht und bekocht er Touristen sowie skeptische Einheimische. Kulturclash und traditionelle chinesische Küche, finnische Kauzigkeit und chinesische Höflichkeit, Verstehen, Missverstehen, Sauna und Tango, alles geht zusammen.
Master Cheng (c) ch.dériaz
Und alles löst sich nicht ohne Charme und Witz auf, ohne dabei die Intelligenz des Zuschauers zu unterfordern. Am Ende ist man freundlich beschwingt und möchte weniger eine Romanze als eine gute chinesische Mahlzeit und so schnell wie möglich eine Reise nach Lappland buchen.
Trotzdem Kino
Die erste Vorstellung des Films war so ausverkauft wie derzeit möglich, heisst, bei Beachtung der Abstandsregeln und mit Maskenpflicht bis zum Sitzplatz, war es voll. Das ist schön. Auch wenn einige Zuschauer in der Zeit des heimischen Sofakinos wohl vergessen haben, dass man in einem Saal voller andere Zuschauer nicht alles und jeden laut kommentieren muss. Ins Kino gehen scheint diesen Sommer auf jeden Fall wieder Zulauf zu haben, gut so.
Master Cheng in Pohjanjoki läuft im Filmcasino in Origanlversion (Chinesisch, Finnisch, Englisch)