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#LocarnoFestival Vorfreude

Vorbereitung Locarno
(c) ch.dériaz

Locarno die 74. Vorbereitungen

In gerade mal einer Woche wird die riesige Leinwand auf der Piazza Grande in Locarno wieder mit Licht, Schatten und Bewegtbildern gefüllt sein.
Im letzten Jahr gab es nur eine „abgespeckte“ Festivalversion und vor allem:
Ohne Filme auf der Piazza, es fehlte damit das Herzstück des Festivals.
Dieses Jahr also wieder ein komplettes Programm an allen Spielorten.

Alles wie gehabt und alles auch neu.

2021 gibt es eine FestivalApp für Online Anmeldung und Sitzplatzreservierung, Maskenpflicht und verringerte Besucherzahl in den Sälen und, mit Giona A. Nazzaro, einen neuen künstlerischer Leiter.
Genug Gründe gespannt auf diese Ausgabe zu sein.
Das Programm klingt auf jeden Fall spannend.

 

Nicht ohne Handy

Das Mobiltelephon wird bei dieser Ausgabe eine zentrale Rolle bei jedem Besucher spielen. Nicht nur braucht man es, um Impf- oder Teststatus EU-konform nachzuweisen, auch ohne die FestivalApp wird es schwierig.
Nach etwas zähmen Anfang am ersten Tag, funktioniert die App aber jetzt problemlos.

die App

 

Karten kaufen oder reservieren, Sitzplätze auswählen, Programm anschauen, alles handlich und für die Hosentasche.

 

Masken, Tests, Impfungen

Ohne wird in Locarno nichts gehen, so zumindest der Plan. Ob und wie weit dann bei jedem Kino, bei jeder Veranstaltung wirklich so kontrolliert werden wird, wird sich zeigen.
Selbstverständlich gilt in allen Kinos Maskenpflicht.

Die Vorstellungen sind zeitlich etwas entzerrt, sodass Zeit zum Lüften der Säle bleibt, aber eben auch Zeit für die umfangreicheren Kontrollen. Möglicherweise werden durch all diese Massnahmen die Verspätungen, die spätestens ab der zweiten Vorstellung des Tages lästige Normalität sind, ein wenig eingedämmt.

Die Leinwand

 

Das grösste und schönste Openair Kino ist auf jeden Fall bereit.
Am 4. August, pünktlich um 21.30, wird es feierlich losgehen, erster Film des Festivals: Beckett von Ferdinando Cito Filomarino.

Alles zum Festival, zu den Filmen und zur Stimmung in Locarno gibt es dann ab 5. August hier zu lesen.

#FestivalTipp für Berlin

 

(c) Film:Schweiz


Schweizer Filme in Berlin

 

Das Filmland Schweiz führt, unberechtigter Weise, ein Schattendasein in europäischen Kinos. Mal werden die Filme nicht als schweizerisch wahrgenommen, weil sie in Koproduktion mit den jeweils „grossen“ Nachbarn entstanden sind, oder sie schaffen es, ausser zu Festivals, kaum auf ausländische Leinwände. Unwissen und Vorurteile – die sind alle auf Schweizerdeutsch – herrschen, und so entgeht dem europäischen Publikum ein interessanter und vielschichtiger Teil europäischen Kunstschaffens.
Abhilfe schafft da das bereits zum 3. Mal stattfindende Festival
Film:Schweiz.
Kuratiert und organisiert wird es von der in Berlin lebenden Schweizerin Teresa Vena. Diese Ausgabe war für April 2020 geplant, musste aber aus bekannten Gründen abgesagt werden. Nun kann das Festival endlich stattfinden, vom 29.7. bis 4.8. kann man sich im
Kino in der Brotfabrik ein Bild vom Schweizer Filmschaffen machen, das sollte man nicht verpassen.

 

Hier einige Filmtipps

 

Eröffnet und in Anwesenheit des Regisseurs wird mit Der Büezer“.
Hans Kaufmann hat den Film mit kleinem Budget und ohne weitere Förderung realisiert. Die Geschichte eines lieben Kerls, der eigentlich nur gern ein bisschen mehr Geld und eine nette Freundin hätte. Aber auf dem Bau, wo er als Installateur arbeitet, herrscht ein rauer, sexistischer Umgangston, beim Versuch eines Dates per Tinder verschwindet die Dame, nachdem sie gehört hat, dass er nur ein einfacher Arbeiter ist. Eine junge Frau, die er zufällig trifft, entpuppt sich als Mitglied einer religiösen Gruppe, und der väterliche Freund als Zuhälter minderjähriger Migrantinnen. Nach der Verzweiflung folgt die Wut, und die bricht sich in bester Taxi Driver Manier ihren Weg. Spannend ist das vor allem wegen des Spiels von Joel Basman, der von zart, schüchtern und zurückhaltend zum „Tier“ mutiert, um dann in eine Art leuchtende Ruhe zurückzufinden.

KurzfilmTipp

 

Der Kurzfilm „All Inclusive“ von Corina Schwingruber Ilić, erzählt kurz, bündig und in tollen Bildern vom Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff, dokumentarisch und satirisch. Wer danach noch eine Kreuzfahrt machen will, ist selber Schuld.

DokumentarfilmTipp

 

Das Leben vor dem Tod“  von Gregor Frei macht es dem Zuschauer am Anfang etwas schwer, gewinnt aber im Verlauf enorm. Der Dokumentarfilm begleitet über 4 Jahre den Vater des Regisseurs und dessen Nachbarn in einem kleinen Tessiner Dorf. Am Anfang steht die Idee des Vaters, der sich nicht damit abfinden kann und will, dass sein Nachbar seinen Freitod vorbereitet, und deshalb einen Film darüber machen will. Zur Unterstützung des Projekts bittet er seinen Sohn um Hilfe. Geplant ist, eine Gesprächssituation zu filmen und mit den Gesprächen das Thema auszuloten. Und diesen Anfang, an dem der Film noch keinen eindeutigen geistigen und künstlerischen „Vater“ hat, in dem es geschwätzig aber nicht interessant zugeht, gilt es zu überstehen. Danach läuft der fast experimentelle Film über die ganz grossen Fragen des Lebens wunderbar, und lässt die Zuschauer nachdenken, lachen und mitfühlen, ohne ins Trostlose zu kippen.

 

schweizer bier
Mit Glück wird es in Berlin in der Brotfabrik auch Schweizer Bier geben. (c) ch.dériaz
RadikalesKino

 

Innovativ, radikal und avantgardistisch ist der Film Das Höllentor von Zürich“
von Cyrill Oberholzer. Der Film spielt mit Kameraeffekten, Fehlfarben und Computerbildern, die Bildausschnitte, Perspektiven und Schnittfolgen sind von Danny Boyds „127 hours“ 1:1übernommen, und auch die Situation des Feststeckens, allein und in aussichtsloser Lage entspricht dem Original. Bloss, dass alles von Anfang an in rauschhaftem Wahnsinn daherkommt. Anders als im Vorbild, steckt nicht ein Mann in einer Felsspalte fest, sondern eine junge Frau, und zwar mit einem Finger im Abfluss ihrer Badewanne. Daraus wird eine Art Trip, der in seiner Bildstruktur und Bildgestaltung eine grandiose Übersetzung der psychedelischen Filme der 60er und 70er Jahre ist, aber eben mit den visuellen Spielereien, die heute machbar und (aus)denkbar sind. Eine echte Entdeckung, ein gelungener, anstrengender Film, auf den man sich einlassen muss.

 

Dürrenmatt im Film

Zusätzlich zum aktuellen Filmgeschehen gibt es einen Fokus auf Friedrich Dürrenmatt, in diesem Kontext gibt es zwei Filme und eine Lesung.
Gezeigt werden: Der Richter und sein Henker (1975)
und auch
Es geschah am hellichten Tag (1958).
Der Film nach einem Drehbuch von Dürrenmatt – der im Nachhinein daraus den Roman „Das Versprechen“ verfasste – ist dank seiner Präsenz im Fernsehen möglicherweise eine der bekanntesten Schweizer Produktionen, aber auch dieser Film gehört ins Kino.

Die Auswahl zeigt, das Filmschaffen der Schweiz ist genauso wenig homogen wie, zum Beispiel, das der USA, und es verdient auf jeden Fall ein grösseres Publikum auch ausserhalb der Schweiz. Dieses Festival leistet die dafür notwendige Pionierarbeit.
Das gesamte Programm gibt es hier.

 

 

# Die Frauen und der Film

Goldener Bobby, oder: Mit der Faust auf den Tisch schlagen
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Ein Ärgernis

Worüber wir mal wieder reden sollten: Frauen im Film(geschäft).
Nein, nicht Frauen auf der Leinwand, nicht über das immer noch altväterliche Frauenbild in vielen Filmen, sondern über die Frauen, die „hinter der Kamera“ arbeiten könnten, wenn man sie liesse.

Unter Palmen

Gerade hat in Cannes eine Frau die Goldene Palme gewonnen.
Das ist super.
Das wäre super, wenn Julia Ducournau in 74 Ausgaben der Filmfestspiele von Cannes nicht erst die zweite Frau – nach Jane Campion (1993!) – wäre, der diese Auszeichnung zuteilwurde. Und wenn nicht von den 24 Filmen im Wettbewerb nur 4 von Frauen inszeniert worden wären.
Und wenn bei den weiteren Preisträgern mehr als nur eine Kamerafrau, Caroline Champetier bei Leo Carax‘ Annette, und zwei Cutterinnen, Nelly Quettier, ebenfalls bei Annette, und Hayedeh Safiyari bei Asghar Farhadis A Hero, beteiligt gewesen wären.
Das ist zu wenig.

Zumal es, theoretisch, nicht an Frauen mangelt, die Regie führen, Kameras bedienen, Filme schneiden können. Die Filmhochschulen, um der Einfachheit halber nur diesen Ausbildungsweg zu nennen, bilden etwa gleich viele Männer und Frauen aus. Aber irgendwann nach ihrer Ausbildung verschwinden viele Kolleginnen im Nichts.

 

Die Anfänge

Als der Film sich erfand, hatte er nicht nur Gründungsväter, sondern auch viele Gründungsmütter. Aber damals hat wohl niemand dem neuen Spielzeug zugetraut, wichtig zu werden, gar Geld zu bringen. Und so kam das frauenfeindliche gesellschaftliche Korsett nicht zur Anwendung. Erst als der Film das Versuchsstadium und die Jahrmärkte verliess und anfing, wirtschaftlich interessant zu werden, griff das übliche Muster, und Frauen verschwanden langsam aus der Branche, zumindest da, wo sie sichtbar waren.

Eine Zeitlang, bevor man verstand, dass der Filmschnitt eine eigene künstlerische Gattung ist, durften Frauen noch schneiden, so wie sie Sekretärinnen sein durften. Aber je mehr der Film wuchs, je mehr Geld damit gemacht werden konnte, um so mehr wichen die Frauen. Beim Fernsehen dominierten die Frauen im Schneideraum, aber das war sprichwörtlich im Dunkeln, hinter den Kulissen. Sobald es um Kinofilme ging, wurden Männer engagiert.

Warum?

Egal ob Regie, Kamera, Schnitt oder Ton, es geht einerseits um Talent, dann um Handwerk und am Ende darum beides so zu verbinden, dass aus vielen künstlerischen Einzelteilen ein grösseres Ganzes wird.
Dafür braucht es keine primären männlichen Geschlechtsorgane.

Für manche Arbeiten braucht es eventuell mehr Kraft, aber es gibt sowohl zierliche, unsportliche Männer, wie sportliche, starke Frauen, Durchhaltevermögen ist nicht abhängig von XX oder XY, Phantasie ist an kein Geschlecht gebunden.

Warum stehen nicht mehr Kamerafrauen, Tonmeisterinnen, Regisseurinnen, Produzentinnen, Cutterinnen im internationalen Rampenlicht?

Harte Themen nur für Männer

Ein weiteres Vorurteil hält sich hartnäckig: Frauen taugen nicht für Actionfilme, für harte Geschichten, für Grausiges und Abseitiges.
Falsch!
Der Cannes Siegerfilm Titane von Julia Ducournau ist ein Science-Fiction-Film, dem es an Gewalt nicht mangelt, auch Kathryn Bigelows Filme sind kein seichtes Erzähl- oder Wohlfühlkino, und kürzlich hat Kamerafrau Agnès Godard in einem Interview gesagt, sie würde gerne einen Kriegsfilm drehen.

Die Kunst in der Filmkunst ist, das Können und Wissen jedem Stoff zur Verfügung zu stellen, unerheblich, ob man ein sensibles Kammerspiel, ein rasantes Kriegsdrama, einen wilden Akttonfilm, oder, oder, oder, vor sich hat.
Jeder Film hat seine eigenen Anforderungen, das Spannende an der Arbeit mit Geschichten setzt genau dort an, sich hineinzufühlen- oder zuwühlen, um das beste daraus zu machen. Dafür muss man im realen Leben weder eine Draufgängerin noch eine Kampfmaschine sein, es braucht nur das Verständnis für die Notwendigkeiten des jeweiligen Stoffs, mehr ist es nicht, bei keinem Film.

Kamerapreis

In diesem Jahr ging sowohl der deutsche als auch der österreichische Kamerapreis an eine Frau, an Christine A. Maier für ihre grossartige Arbeit bei Quo vadis, Aida?

Anlässlich der Verleihung in Österreich hielt Kamerafrau und Vorsitzende des österreichischen Kameraverbands, Astrid Heubrandtner, eine bemerkenswerte Rede zum Thema, sie endete mit dem Aufruf: engagiert die vielen gut ausgebildeten Frauen der Filmbranche.
So einfach könnte es sein.

 

Quoten?

Sind Quoten eine Lösung? Vielleicht.
Zumindest so lang bis sich herumgesprochen hat, dass man bei jedem Projekt eine bestimmte Person, mit bestimmten Qualitäten auswählt, unabhängig von dem, was in der Hose oder nicht in der Hose ist. Auch Festivals täten gut daran, mehr auf eine gleichmässige Verteilung zu achten, bei den Festivals, wo das schon stattfindet, gewinnen in letzter Zeit vermehrt Filme von Frauen.

Was für die Vorstandetagen von Multinationalen Betrieben gelten soll, kann gut auch für die Filmindustrie gelten.

#Diagonale: Der Schluss

 

Mit Sack und Pack ins Kino
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Mit Sack und Pack ins Kino

 

Ein letzter Film noch, bevor es wieder zurückgeht, die Wahl fällt auf Der schönste Tag von Fabian Eder.
Der Saal füllt sich, die Plätze nicht ausgeschöpft, aber doch nicht so schlecht, für einen Dokumentarfilm, um 10 Uhr am Sonntagmorgen.
Ein Film, in dem, in weiten Teilen, Menschen reden, also Talkingheads, sie reden zum Thema Holocaust. Trotzdem ist das einer der besten Filme, die dieses Jahr zu sehen waren. Zum einen, weil der Film sich und dem Zuschauer Zeit lässt, zum anderen, weil eine der zentralen Ideen darin besteht, jeden Zeitzeugen mit einem jungen Menschen – meistens deren Enkel – in ein Zugabteil zu setzen, und das dort entstehende Gespräch mit sechs Kameras zu drehen. In Ruhe, mit viel Sensibilität. Ein privater Dialog, zwischen Menschen, die einander kennen und vertrauen.
Parallel zu diesen intergenerationalen Gesprächen geht es um die, seit 2013 im Umbau befindliche, Ausstellung in der KZ Gedenkstelle in Auschwitz, zur Rolle Österreichs während des Dritten Reichs. Auch hier: sprechende Menschen. Sie tun das eloquent, ruhig, und ohne filmischen Schnickschnack.
Dazwischen immer wieder vor allem: Zeit und sehr, sehr gute Bilder.
Selten ist ein so komplexes Thema, so ruhig, sensibel und, über 112 Minuten, spannend dargebracht worden. Dieser Film ist einfach toll.

Hinter den Kulissen ist es auch spannend

Es hat sich auch gelohnt, zur Diskussion nach dem Film zu bleiben, denn da lüftet sich das Geheimnis, um die Bilder im Zug: Das Abteil ist zum Drehen nachgebaut worden, während der Gespräche lief „live“ dazu der bewegte Hintergrund, wodurch eine absolut glaubwürdige Zugfahrtillusion entstand.
In den Film kamen, von den 23 gedrehten Dialogpaaren letztlich nur 4, die anderen werden als jeweils einzelne Gespräche gezeigt werden, im Fernsehen oder auch in Schulen.
Eine besondere Freude: der Film gewann den Publikumspreis der Diagonale.
Was wieder zeigt, man kann, man darf und muss dem Kinopublikum etwas zumuten.

 

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Die Preise 2021

Den Grossen Diagonale Preis/Spielfilm gewann Evi Romen für Hochwald.
Der Grosse Diagonale Preis/ Dokumentarfilm geht an Tizza Covi und Rainer Frimmel für Aufzeichnungen aus der Unterwelt

Die beiden Preise für die beste künstlerische Montage gehen an:
Karina Ressler und Joana Scrinzi für Fuchs im Bau
und an Yves Deschamps und Hubert Sauper für den Schnitt des Dokumentrafilms Epicentro.

Die Preise für die beste Bildgestaltung gehen an zwei Filme, die ich nicht gesehen habe.
Für die beste künstlerische Bildgestaltung/Dokumentarfilm geht der Preis an:
Jordane Chouzenoux für Wenn es Liebe wäre.

Für die beste künstlerische Bildgestaltung/Spielfilm  an Ludwig Wüst, für seinen Film 3.30PM.
Auch ohne den Film gesehen zu haben, mutet diese Entscheidung etwas seltsam an, da im Katalogtext folgendes zur Kamera/Bildgestaltung zu lesen ist:

Durch eine niedrigauflösende Bodycam, die einem der Darsteller an die Brust geheftet ist, „schafft sich der Regisseur während der Dreharbeiten ab“, wie Wüst es selbst bezeichnet.

Das mag als künstlerisches Mittel toll, oder spektakulär oder einfach nur originell sein, und der Preis heisst ja auch „für beste Bildgestaltung“ statt „Beste Kamera(arbeit)“, aber schöner wäre es schon, wenn den Preis auch Kameraleute bekämen.
Aber, wie so vieles, vielleicht ist auch das wieder nur geschmäcklerisch.

Alle Preise auf der Seite der Diagonale

 

Das war’s aus Graz, die Diagonale 2021 ist vorbei, vieles war anders als gewohnt, aber die Stimmung war gut und entspannt. Und es war eine so grosse Freude, endlich wieder ins Kino gehen zu können.
Die Diagonale 2022 wird vom 5. bis 10. April stattfinden.

Wie gemalt, Licht in Graz
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#Diagonale: Geschichte(n)

 

Gut, dass es Kino gibt

 

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Von Tigerinnen

 

Seiteneingang gefunden
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Die Diagonale nähert sich dem Ende, gleichzeitig wird das Wochenende wohl nochmal ein Zuschauerplus bringen.

Bereist am Morgen ist es beim Dokumetarfilm I am the Tirgress von Philipp Fussenegger, Dino Osmanovic ziemlich voll. Die titelgebende Tigerin ist kein Raubtier, sondern eine amerikanische Bodybuilderin Ende 40. Kein glamouröses Leben, sondern täglicher Kampf: Muskelaufbau, der schmerzt, blöde Kommentare zu ihrem Körper auf der Strasse, Rassismus, Shows, bei denen von Anfang an klar ist, wer gewinnen wird, dennoch, aufstehen und weitermachen scheint ihr Lebensmotto zu sein. Und dabei reisst sie die Zuschauer mit, schon von der Leinwand herunter verbreitet sie gute Laune, als sie und das Team am Ende vor der Leinwand stehen, gibt es tatsächlich Johlen und Jubeln. Eine starke Frau, die sich nicht scheut auch Verwundbarkeit zu zeigen, deren Muskeln kein Panzer sind, sondern ihr Mittel zu Selbstakzeptanz.

 

Beifall für: I am the Tigress
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Wann ist wo Heimat?

 

Weiyena – Ein Heimatfilm von Weina Zhao, Judith Benedikt. Weina Zhao, gebürtige Chinesin, aufgewachsen in Wien, sucht nach den Wurzeln ihrer Familie, und erzählt dabei die Geschichte Chinas seit dem frühen 20. Jahrhundert. Eine harte Geschichte, die auch in ihrer Familie Spuren hinterlassen hat, und die die Beziehung zu Heimat noch weiter hinterfragt. Ein Film, der über mehrere Jahre hinweg entstanden ist, sehr persönlich und trotzdem sehenswert für Aussenstehende.

 

Geschichte – Oscarnominiert

 

Neuere Geschichte, direkt vor unserer Haustür, als Spielfilm verdichtet, personalisiert, so kann man Quo vadis Aida? von Jasmila Žbanić kurz zusammenfassen.
Die Bilder sind seit 25 Jahren immer wieder Teil der Fernsehnachrichten: Menschen, die vor der UN-Schutzzone warten, in der Sonne, hilflose UN-Blauhelmsoldaten, das Aufteilen in Männer und Frauen, Busse, die die Gruppen abtransportieren.
Kann man aus dem Massaker von Srebrenica einen Spielfilm machen?

Die UN-Dolmetscherin Aida, die in dem Chaos in der UN-Schutzzone neben ihrer Arbeit auch noch versucht, ihren Mann und ihr beiden Söhne zu retten, macht aus Geschichte eine Geschichte. Das ist gut und das ist wichtig. Was neben dem tollen, ausdrucksstarken Spiel von Jasna Đuričić besonders überzeugt, ist die Bildgestaltung. Kamerafrau Christine A. Maier orientiert sich an der Farb- und Lichtstimmung der 90er Jahre Bilder, erschafft dabei Neues und baut das Bekannte nach. Das Ergebnis ist gleichermassen beeindruckend wie auch erschütternd. Die Kriege, besonders die in unserer Nachbarschaft, dürfen nicht vergessen werden, wenn Spielfilme dazu beitragen können, dann ist das gut.
In Österreich kommt der Film Ende Juni in die Kinos.

 

Keine Lobby

 

Eine ganze Kategorie Filme hat es besonders schwer ausserhalb von Festivals gesehen zu werden, die sogenannten Innovativen- oder Experimentalfilme.

 Fragebogen von Antoinette Zwirchmayr, legt im OFF gestellte Fragen aus einem Buch von Max Frisch über statische, stumme, schwarz-weiss Bilder ihres Grossvaters. Antworten gibt es keine. Eine eigenartige Komposition.

film von Marlies Stöger, André Tschinder ist Teil einer Idee, die schon einige Ausführungen hatte: das Erstellen der neuen Kunstform Zu-Realismus. Mit sparsamen, aber intelligenten Mitteln wird das zu-realistische Manifest erklärt.

We’ll always have Paris von Ella Raidel ist ein Spiel mit Erwartungen. Was sehen wir, wenn wir etwas sehen? Und können wir uns immer auf unsere Sinne verlassen? Besonders im Kino sollte man das infrage stellen.

Traces von Stephanie Rizaj, Marvin Kanas verwirrt mit wechselnden Motiven. Einerseits karge Landschaften, dann wieder städtische Oberflächen, Häuser, Risse, Wege, dazu Kinderstimmen, die von Träumen erzählen. Der Reiz dabei: Welchen Reim man sich darauf macht, muss man selber finden.

Ruins in reverse von Olena Newkryta ist ein langes Philosophieren über die politische, ideologische Implikation von Bauruinen. Auch das ist zunächst sehr fremd, aber auch wieder spannend.
Filme zum Nachdenken, zum Weiterdenken, die man vielleicht doch auch bei Gelegenheit einem breiteren Publikum zutrauen kann.

 

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#Diagonale: Perspektiven

 

Schubertkino
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Die letzte Reihe

 

Ein ganzer Tag fast ohne Kino, der der persönlichen Virenbekämpfung gewidmet war. Am Abend ist dann doch noch ein Kinobesuch möglich. Durch die automatische Platzvergabe bei der Onlinebuchung entstehen völlig neue Perspektiven in Kinosälen, so sieht der kleine Schubert 2 Kinosaal aus der letzten Reihe fast gross aus, allerdings erscheint die Leinwand dann doch eher winzig. Und, wer hätte das gewusst, in der letzten Reihe gibt es Doppelsitzbänke: Knutschkinositze!
Auch der Film des Abends war nicht wirklich geplant, sondern den Reservierungsmöglichkeiten geschuldet.

 

Rhythmusgefühl

 

Man muss Thomas Antonic dankbar sein, dass er mit One More Step West Is the Sea: ruth weiss, die Künstlerin und Beatpoetin Ruth Weiss auf die Leinwand bringt, was er dann allerdings aus dem Material dieser grossartigen Frau macht, ist deprimierend. Zwischen 2017 und 2019 dreht er in Kalifornien Interviews, Lesungen, begleitet die 1928 geborene Dichterin. Man sieht eine aktive, frech blitzende alte Dame, die eloquent über Dichtung, Film und Rhythmus spricht. Man hört alte und neue, von Jazz begleitete, Lesungen, alles höchst strukturiert, die Bilder dazu sind es aber nicht. Sie beziehen sich in keiner Form auf den Sprachrhythmus, weder in dem sie ihm folgen, noch indem sie ihm widersprechen – was auch eine Möglichkeit wäre. An vielen Stellen kleben Interviews viel zu nah an Sequenzen mit Lesungen, man stolpert als Zuschauer, kann weder das eine geniessen, noch dem anderen wirklich zuhören. Immer wieder gibt es Verlegenheitsüberblendungen, an Stellen, an denen man ganz entspannt hätte hart schneiden können. Oder es werden Photos von Zeitgenossen der Protagonistin als Bildüberlagerung eingeblendet, aber so kurz, dass man fast keine Zeit hat, zu sehen, wer da im Bild aufflackert. Das alles ist jammerschade! Die Bilder und die Poetin hätten einen besseren Schnitt verdient.

Kurzfilme … ein Versprechen

 

Am Morgen gleich ein Kurzspielfilmprogramm, vier Filme, die alle Menschen am Rand der Gesellschaft zum Thema haben.
Ein Jugendlicher, der gerne Teil der lokalen Gang wäre, von der er aber nie so wirklich ernst genommen wird, egal was er für sie tut.
Dominik Galleya und Clemens Niel zeigen diese Geschichte in tauchen, mit viel Empathie aber auch mit einer Portion absurdem Humor.
Gegen Ende surreal ist Liebe, Pflicht & Hoffnung von Maximilian Conway. Eine Supermarktangestellte, die erst ihren Job verliert, der man den Strom abschaltet, der die Räumung droht, und immer bleibt in ihr ein Schimmer Hoffnung, egal wie fest und schnell die Schläge gegen sie geführt werden.
In FABIU von Stefan Langthaler stellt sich ein alter Mann seinen – unterdrückten – Gefühlen, als er statt einer weiblichen Pflegerin für seine Frau einen jungen Mann aus Ungarn als 24-Stunde Pflege bekommt. Sehr schön gedreht, mit vielen extrem nahen Bildern.
In Fidibus von Klara von Veegh irrt eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn durch die Kälte. Ist sie obdachlos, oder läuft sie weg? Der Film spielt mit traumartigen Sequenzen, die lange offen lassen, was wirklich passiert ist.
Von allen Regisseuren und Regisseurinnen möchte man gerne mehr sehen.

 

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Reihe eins ist ganz hinten

 

 

Luxussitze ganz Hinten
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Das Onlineticket weist aus: Reihe eins, das klingt nicht so toll, aber in der vordersten Reihe angekommen stellt sich heraus, in diesem Kino wird von hinten nach vorne gezählt. Also, auf nach ganz oben, wo vornehme (Kunst)Ledersessel mit extra breiten Armlehen zum fläzen einladen. Auch das ist ein neuer Blickwinkel. Aber recht voll werden die Säle weiterhin nicht, und das liegt nicht an der verminderten Platzzahl, denn die erlaubten Plätze sind nicht alle besetzt.

 

Dazugehören

 

Hochwald von Evi Romen ist relativ gut besucht, aber dieser tolle Film braucht viel mehr Publikum.
Mario gehört irgendwie nirgends richtig dazu, in seinem Bergdorf nicht, in der Stadt nicht, zu anders scheint er zu sein, aber wer er genau ist, das zeigt er auch keinem. Sein bester Freund scheint es besser getroffen zu haben, er kommt aus der reicheren Familie, hat ein Begabtenstipendium bekommen und lebt auch seine Homosexualität unbekümmert aus. Eine Tragödie wirft Mario dann völlig aus der Bahn. Aber es ist nicht die starke Geschichte, die so beeindruckt, sondern die Machart, wie sie visuell umgesetzt ist. Die Figuren haben Raum zu spielen, weil sie nicht in einem Korsett aus Schnitt/Gegenschnitt gefangen sind. Der Schnitt ist rasant, lässt Sprünge zu und bleibt trotzdem absolut im Fluss und der Geschichte treu. Wirklich sehenswert.

Das kann man über Risiken und Nebenwirkungen von Michael Kreihsl nicht sagen.
Szenen zweier Ehen, in denen es darum zu gehen scheint, ob man(n) seiner Partnerin eine Niere spendet. Als sich der eigene Mann ziert, willigt der Mann der anderen ein, zu spenden, was wiederum Streit zwischen allen auslöst. Am Ende geht es eigentlich bloss um simple eheliche Untreue. Der Film basiert auf einem (Boulevard)Theaterstück, aber jede Pointe, jedes Tempo fehlt, zudem spielen drei der vier Hauptdarsteller in jeder Szenen so, als würden sie am Ende des Dialogs in schallendes Gelächter ausbrechen. Dabei ist es egal, ob da gerade Ernstes verhandelt wird oder gestritten wird, Gestik und Mimik sind hoffnungslos überzogen. Auch die Wendungen am Schluss funktionieren in dieser lahmen Konstellation nicht wie Pointen, sondern höchstens wie ein müder Witz.

 

Diagonale Festivalzentrum
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Albträume und Masken

Einmal quer durch Graz zum letzten Film des Tages. Die Hinweisschilder, wo es in den jeweiligen Saal geht, sind nicht immer ganz eindeutig, was dazu führt, dass man auch einfach verträumt vor einer Tür wartet, die sich nicht öffnen wird. Zum Glück klärt sich der Fehler rechtzeitig.

Es wäre sehr schade gewesen, 2551.01 von Norbert Pfaffenbichler zu versäumen. Ein furioser Stummfilm, der eine apokalyptische Unterwelt zeigt, in der sich jede Menge gruseliger Kreaturen mit schauderhaften Masken prügeln, verfolgen, terrorisieren, dazwischen eine affenartig maskierte Figur, die ein vermummtes Kind rettet. Versatzstücke ikonischer Bilder aus Filmen, aus Nachrichten oder von Pressephotos blitzen kurz auf, werden aufgenommen, bilden den Anfang einer Variante. Albträume werden wahr, bewegen sich, lösen sich auf, um gleich im nächsten Raum einen weiteren Albtraum lebendig werden zu lassen. Ein völlig irrer, wunderbarer Film, mit kluger Dramaturgie, sparsamen, aber tollen Toneffekten und einer treibenden Musik.

Die Abende sind lau, die Sperrstunde ist nach hinten verlängert, und so sieht man in und vor Lokalen oder auf Plätzen deutlich mehr Menschen als in den Kinos der Stadt, wirtschaftlich wird diese Diagonale vermutlich nicht so gut abschneiden.

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#Diagonale: Gutgelaunt in Graz

 

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Entschleunigung

 

8:31 am ersten regulären Festivaltag, seit einer Minute ist es möglich, sich für den kommenden Tag Karten zu reservieren, und für die Abendvorstellung gibt es schon keine Plätze mehr. Gut für die Bilanz des Kinos, schlecht für mich.

3 Gs
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10:20 vor dem ersten Kino, nicht viel los, dafür werden Impfnachweise oder Tests kontrolliert, der Eingang in den Saal wurde um die Ecke verlegt, damit die Kontrollen – hier Gesundheit, dort Ticket – getrennt ablaufen können.

 

Kabelsalat

Nur insgesamt 20 Zuschauer finden sich im Kino ein, um Bitte warten von Pavel Cuzuio zu sehen. Das ist wirklich sehr schade, der Film verdient auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit. Der Dokumentarfilm begleitet vier Teams von Telekommunikationstechnikern am äusseren östlichen Rand Europas bei ihrer Arbeit. Ganz am Anfang werden einmal die Orte: Bulgarien, Moldavien, Rumänien und die Ukraine, eingeblendet, danach folgt Pavel Cuzuio den Teams und dem Rhythmus ihrer Arbeit. Sie entwirren Kabelsalat, richten Internetverbindungen auf altmodischen Rechnern neu ein, reparieren vorsintflutlich erscheinende Telephone. Alles im Dienst der Kommunikation, wobei die hauptsächliche Kommunikationsebene, der direkte Austausch, von Mensch zu Mensch stattfindet. Der Film vermischt unbekümmert Orte, Schauplätze und Kunden, ist dabei aber immer dem Schnitt und seinem Fluss verpflichtet. Daraus entsteht ein witziger, pfiffiger Dokumentarfilm, den es wirklich zu sehen lohnt.

Innovativ – Experimentell

 

Nach kurzer Pause geht es zum Programm innovatives Kino, der Saal ist schon deutlich voller als am Morgen. Die ersten drei Filme des Programms zeigen Varianten von Stoppmotion und Motioncontrol, jeder auf seine Art spannend.

Es ist genau genug Zeit ist ein Filmgewordenes Daumenkino, das Vermächtnis des 12-jährigen Oskar Salomonowitz, fertiggestellt von dessen Vater Virgil Widrich. In nur zwei Minuten entfaltet sich ein Strichmännchen-Actionfilm mit viel Witz und Herz.
O von Paul Wenninger ist ein ausgeklügeltes Werk aus vielen Bildebenen, in denen ein Raum um einen Protagonisten kreist, immer schneller, immer abgefahrener. Eine, auch technisch, spannende Arbeit.
Auch Warten von Bernd Oppl arbeitet mit Stoppmotion und ganz unmerklichen Veränderungen im Bildausschnitt, es entsteht eine Geschichte des Wartens, der Zeit, des Verfalls. Imperial Irrigation von Lukas Marxt ist eine Art experimenteller Dokumentarfilm. Marxt mischt verfremdete Photos mit zerhackt wirkenden Bewegtbildern, fügt unheimlich anmutende Geräusche hinzu und rundet alles mit einer monotonen Erzählstimme ab. Mit diesen verfremdenden Mitteln entsteht das Bild einer zerstörten, vernarbten Landschaft in Kalifornien, das ist informativ und auch irgendwie sehr unheimlich.

Die Pandemie betrachten

Während maskierte Gesichter mittlerweile zum Alltag geworden sind, man wie selbstverständlich vor jedem Kaffee einen Beleg der eigenen Gesundheit vorweist und sich namentlich registriert, sind Filme über die Pandemie immer noch eher selten. Kristina Schranz‘ Abschlussfilm Vakuum zeigt den Verlauf der Pandemie im Burgenland, vom ersten Lockdown über das erste Öffnen und in den zweiten Lockdown. In statischen Totalen zeigt sie den Stillstand, die Leere, Menschen, die am Anfang des ersten Lockdowns aufräumen, organisieren, aber im Lauf der Zeit auch deutlich mutloser werden. Die Bilder, die Ausschnitte sind klug gewählt und spannend, schade nur, dass bei den Interviews dann auch kein Material vorhanden ist, um zu schneiden, so springen eben die Köpfe hin und her, was, egal wie man das künstlerisch findet, immer vom Inhalt des Interviews ablenkt. Trotzdem: ein spannender erster Langfilm.

Lieblingsplätze adé

 

 

Freie Sitze
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Durch das entzerrten Programm kann man tatsächlich nur 4 Projektionen pro Tag sehen, da bleibt Zeit zwischendurch in die Sonne zu blinzeln, die Maske abzunehmen, sogar etwas in Ruhe zu essen, statt zu schlingen. Auch das sonst eher übliche Rennen von einem Kino zum nächsten entfällt. Das Anstehen an der Kasse, um reservierte Tickets abzuholen, entfällt, statt dessen müssen die Plätze eine Stunde vorher nochmals online bestätigt werden. Allerdings fällt auch weg sich auf den persönlichen Lieblingsplatz zu setzten, zum Beispiel irgendwo im vorderen Drittel am Rand, das Onlinesystem weist Plätze zu, gnadenlos.
Diagonale entschleunigt. Also, ausser wenn es um das Reservieren von Tickets geht.

Motorengeheul

 

Für Motorcity von Arthur Summereder hätte es angeblich auch keine Karten zu reservieren gegeben, aber das Kino ist weit davon entfernt, voll zu sein, und das nicht nur, weil jeder zweite Platz frei bleiben muss. Summereder erzählt Detroit, die Stadt der Autos, der Motoren, aber nicht anhand der Automobilindustrie, sondern in dem er Fahrern und Fahrerinnen von Dragraces, also Beschleunigungsrennen, folgt. Obwohl der Film schräge und interessante Protagonisten, röhrende Motoren und abgeriebenes Reifengummi zeigt, fehlt ihm über die Dauer eine sinnvolle Struktur. Da hilft auch der etwas elegische, wenn auch sehr persönliche, Off-Text, oder die diversen Archivfilme der Autoindustrie nicht, die Dramaturgie hakt.

 

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Ein erster Festivaltag endet, er endet früh, draussen ist es noch nicht mal richtig dunkel, aber Kino gibt es für den Tag nicht mehr. Die Laune in Graz ist dennoch gut, es ist eben alles etwas gemütlicher als sonst.

# Diagonale: Die Eröffnung

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Zurück in Graz

 

Nach einem Jahr (Zwangs)Pause ist die Diagonale zurück in Graz.
Und diesmal, durch die Verlegung von März auf Juni, bei wahrhaft sommerlichen Temperaturen. Die österreichische Filmbranche versammelt sich, ob die Beschränkungen der Stimmung schaden werden, wird sich zeigen.

 

Ein bisschen neu

 

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Das Festivalzentrum ist, statt im knuffigen Kunsthaus, in eine ehemalige Schuhgeschäftsfiliale gewandert, und schon bevor es richtig losgeht, ist eines klar: Das wichtigste Werkzeug wird ein gut geladenes Smartphone sein. Karten reservieren ab 8:30 am morgen für denselben – oder den Folgetag, diese müssen dann aber am Tag selber jeweils eine Stunde vorher nochmals bestätigt werden.
Mal sehen, wie das klappt. Die Karten sind personalisiert und mit zugewiesenem Sitzplatz, um so allen Pandemieregeln zu gehorchen. Masken und Test – oder Impfnachweise sind selbstverständlich auch verpflichtend. Partys und abendliche Treffen gibt es dieses Jahr keine, also auch keine Party nach der Eröffnung. Die Rahmenveranstaltungen sind sehr reduziert und auch dazu muss man sich anmelden, um Menschenansammlungen zu vermeiden.
Gegen Mitte der Woche sollten die Öffnungszeiten der Gastronomie von 22 auf 24 Uhr verlängert werden, auch hier: mal sehen wie das funktioniert.

 

Die Eröffnung

 

Spartanisch irgendwie
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Der Vorraum zum Saal erscheint leer, kleine Grüppchen trudeln ein, es gibt keine Bar, das sieht irgendwie trostlos aus.
Als der Saal sich dann langsam zu füllen beginnt, sieht die Sache schon etwas besser aus, denn obwohl jeder zweite Platz frei bleiben muss, ist die Eröffnung gut besucht. Anbetracht der frühen Sperrstunden fällt die Rede der Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber eher kurz aus, allerdings nicht ohne zu
betonen, dass nicht die Kultur darnieder lag (und liegt), sondern die Kunst.

Kunst ernst nehmen

Vonseiten der Bundespolitik glänzt der grüne Vizekanzler und Kulturminister mit Abwesenheit, lokale, also steierische, Politiker sind dagegen sehr wohl unter den Gästen, genau wie die Wiener Kulturstadträtin. Es wundert schon immer wieder, wie wenig die österreichische Bundespolitik sich um die Belange der Filmkunst kümmert. Die Diagonale ist schliesslich nicht irgendein kleines lokales Filmfestchen, sondern die Leistungsschau des österreichischen Filmschaffens, das ist sowohl wirtschaftlich wie auch kulturell durchaus bedeutend.

 

Auch 50 % ist irgendwie voll
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Der erste Film

 

Fuchs im Bau von Arman T. Riahi lief bereits in Saarbrücken, wo er mehrere Preise, darunter den für die beste Regie, gewann. Jetzt also in Graz die Österreich Premiere.
Was an diesem Film als erstes begeistert, ist das Spiel der Bilder in immer unübersichtlich bleibenden Räumen. Egal, ob im Jugendgefängnis oder in einer Wohnung, immer scheinen Wände, Gitter, und Ecken den Durch- und Überblick zu verhindern, oder zumindest zu erschweren. Eine Unruhe steckt in dieser verschachtelten Bilddramaturgie, eine Unruhe, die sich auch im Klassenzimmer der Haftanstalt fortsetzt. Ein abgeschlossener Ort, Jugendliche mit hohem Aggressionspotential, Justizbeamte, die die Jugendlichen am liebsten nur verwahren würden, und zwei Lehrer, die versuchen es besser zu machen, als das System es vorsieht. Das alleine hätte schon genug Potenzial für eine packende Geschichte. Aber so wie im Bild hinter jeder Ecke eine unerwartete neue Wand auftaucht, stecken in den Figuren Geschichten und Geheimnisse, die alles vielschichtiger werden lassen. Dass diese Hintergründe der Figuren am Ende nicht  restlos auserzählt werden, ist eine weitere Stärke des Films. Hinzu kommt ein fabelhaftes Darstellerensemble, allen voran die junge und unglaubliche Luna Jordan, die mit ihren Wechseln von fast autistisch zu explodierend aggressiv beeindruckt.
Fuchs im Bau läuft ab kommender Woche in österreichischen Kinos.

 

Bier to go

 

Statt einer Feier nach dieser gelungenen Premiere, gab es eine lustige Zuschauerchoreografie, um den Saal – regelkonform – wieder zu verlassen, und Getränke „to go“ für den Heimweg. Aber vielleicht ist das auch jammern auf hohem Niveau, immerhin gab es einen Saal voller Zuschauer, einen tollen Film und einen ersten Festivalabend.

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Filmfestivals sind zurück

 

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Die Diagonale in Graz

 

Nach Monaten ohne Kino und noch mehr Monaten ohne physisch stattfindenden Filmfestivals kommen Filme jetzt endlich zurück auf die Leinwände und zu physisch anwesendem Publikum.
Kommende Woche startet in Graz die Diagonale, in Kinos, mit Publikum, mit Masken und Abstand und weniger Plätzen pro Vorstellung.

Onsite statt online!


Die Vorstellungen sind zeitlich etwas entzerrt worden, sodass zwischen zwei Vorführungen die Säle gelüftet werden können. Reservieren wird zur Pflicht, wobei, das galt eigentlich ja schon immer. Aber oft standen dann doch grosse Menschentrauben vor den Kassen, in der Hoffnung doch noch, ohne Reservierung,  einen Platz zu ergattern. Wie das also dieses Jahr aussehen wird, muss man sehen. Auch wie leicht man, zum Beispiel als Akkreditierter, an Karten kommt, wird sich zeigen. Bei vielen Festivals muss man in der Minute, in der die Reservierungen freigeschaltet werden, auch schon reservieren, weil sonst schon nichts mehr geht.

Sperrstunde

 

Die beiden Festivalleiter Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger, kürzlich für ein weiteres Jahr im Amt verlängert, versprechen auf jeden Fall eine spannende Diagonale. Auch wenn die, bis mindestens 10. Juni geltende, Sperrstunde um 22 Uhr für ein entspanntes Miteinander während des Festivals sicher eine Herausforderung werden wird.

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Schliesslich geht es bei der Diagonale, genau wie bei allen Festivals, auch darum, sich auszutauschen, das Gesehene zu besprechen, Kontakte zu knüpfen oder zu vertiefen. Aber trotz all dieser Fragen, es ist eine grosse Freude wieder an einem Festival teilnehmen zu können, wieder in Kinosälen zu sitzen, statt einsam am Computer zu Hause.

 

Eröffnet wird die Diagonale am 8. Juni mit Arman T. Riahis Fuchs im Bau.

# FilmTipp Nomadland

die drei Gs (c) ch.dériaz

Drei Gs zum Glück

 

Endlich wieder Kino, endlich wieder eine Verabredung, um gemeinsam einen Film in einem dunklen Saal, auf einer grossen Leinwand anzuschauen!

Dem Kinobesuch stehen nur noch zwei Kleinigkeiten im Weg: Kartenkauf oder Kartenreservierung online und die von der Regierung vorgeschriebenen und werbetauglich formulierten 3Gs. Heisst, man muss geimpft, getestet oder genesen sein – und dann öffnet sich auch schon die Tür zum Kinoglück.

Menschenmassen meiden und Masken tragen

 

Im Kino wird dann schnell klar: was bei der Onlinereservierung ausverkauft heisst, ist noch lange kein voller Saal. Neben jeder Zuschauereinheit bleibt ein Platz frei, im Saal herrscht Maskenpflicht. Trotzdem die erste Vorstellung des Oscargewinnerfilms Nomadland ist sehr gut besucht, und das an einem Donnerstag um 17:30.

 

Nomadland Plakat (c) ch.dériaz

Über Chloé Zhaos Film ist mittlerweile schon fast alles gesagt und geschrieben worden, trotzdem hier einige Gründe, warum es sich lohnt, diesen Film anschauen zu gehen.
Dem Film gelingt der Spagat zwischen dokumentarischer Erzählung und Spielfilm. Ausschlaggebend für dieses Gelingen ist einerseits die wunderbare Frances McDormand, der man vermutlich auch beim Vorlesen einer Speisekarte fasziniert zuschauen würde, und der, mit viel Feingefühl aus Schauspielern und Laien zusammengesetzten, Darstellerriege. Eine weite, urwüchsige Landschaft, ungeschminkte Gesichter und Geschichten, die berühren, ergeben einen Film, der alle bisherigen Preise und Lobpreisungen verdient hat.

Rhythmisch ins Präkariat

Eine weitere Stärke des Films ist sein langsamer, aber nie schleppender Erzähl- und Schnittrhythmus. Auch hier bewegt sich die Geschichte zwischen wahr und erfunden, verdichtet und bleibt doch nah an wahren Begebenheiten und zeichnet so ein Bild der USA, das in dieser Art nicht oft gezeigt wird. Der Ausverkauf der amerikanischen Mittelschicht, der das Haus, die Heimat unterm Hintern wegrationalisiert wurde, und die sich mit fast verbissenem Pioniergeist zur Wehr setzt. Selbst wenn dieses Zurwehrsetzen nur darin besteht, von einem Saisonjob zum nächsten zu ziehen.
Allein der Einsatz der Musik stört etwas, als hätte Zhao der emotionalen Kraft ihrer Bilder nicht recht getraut, und so erhebt die Musik den Zeigefinger und weist darauf hin, dass es jetzt gerade traurig zugeht, das wäre nicht nötig gewesen.

 

Kinoleinwand (c) ch.dériaz

Der Film läuft in Wien in Originalfassung im Filmcasino, im Burgkino und im Votivkino.

Ins Kino gehen ist also ab sofort wieder möglich und das ist sehr gut so.